Das ueberirdische Licht - Rueckkehr nach New York
Berkowitz, hat mich angerufen und gebeten, die von ihm betreuten deutschen Damen doch einmal bei ihrem heiligen Kaffee-und-Kuchen-Nachmittag zu besuchen, es würde ihnen bestimmt Freude bereiten, mich kennenzulernen und mit mir deutsch sprechen zu können. Kenntnis von meiner Residenz und Telefonnummer hatte er von seiner Freundin in Paris, die eine Freundin meiner Freundin aus Straßburg ist. Zwar wußte ich von dieser connection nichts, aber inzwischen wundert mich hier gar nichts mehr. Daß die Welt ein Dorf ist, beweist sich in New York irgendwie noch schlüssiger als an jedem anderen Ort der Welt. Auf dem Weg zum Yoga habe ich eines Tages, mitten auf dem Broadway, der packed mit Menschen war wie immer, meinen Kindernamen rufen gehört, so wie er auch über der indischen Bar im Village leuchtet. Ich glaubte mich verhört zu haben, schließlich hört man auf dem Broadway alles mögliche. Aber nein, noch einmal, mein Kindername, he, hallo, laut und kräftig. Es klang nicht indisch, es klang berlinerisch, diesmal drehte ich mich zu dem Rufer um. Es war Andy. Andy aus Berlin, aus der Zeit, als wir immer die Zahnbürste bei uns trugen. Jetzt lebe er in Amsterdam, sagte er. Kurzer Lebensabriß. Ruf mich doch an. Nein, morgen fahr ich schon ab. Schade. Na, dann mach’s gut. Mach’s auch gut. Tschüs! Tschüs!
Wo gibt’s denn so was!
Der Rabbi Berkowitz ist, wie sein Name verrät, nicht gerade deutsch-jüdischer Herkunft und versteht auch kein Deutsch, nur ein bißchen Jiddisch, das er von seinen Großeltern aufgeschnappt hat, deshalb verspricht er sich so viel von meinem Besuch; schließlich sei ich doch, so wie all die Damen (und sehr wenigen Herren) seiner Gemeinde, eine echte deutsche Jüdin, von denen es doch nicht mehr viele auf der Welt gebe, denn die Nachkommen seien entweder nicht mehr deutsch oder nicht mehrjüdisch. Natürlich habe ich zugesagt, warum sollte ich ablehnen, bin mit dem A-Train bis zur 181th Street gefahren und dann zur Fort Washington Avenue hinuntergegangen. Vom Fort, das einmal dort stand und die Engländer glücklich abgewehrt hat, ist nichts mehr zu sehen. Aber der »Tempel« ist zu sehen. Und nicht nur einer. Bei den Anhängern der Reformbewegung heißt die Synagoge Tempel, bei den Orthodoxen Schul. Schon in diesen Benennungen drückt sich der ganze Unterschied zwischen den beiden Richtungen aus. Die Reformer neigen mehr zu Paulus: »Der Buchstabe tötet, der Geist macht lebendig«, während die Orthodoxen weiter an der Schriftauslegung festhalten, über die schon Justinian im Jahre 553, natürlich abfällig, bemerkte, »die Juden interpretieren wie die Verrückten«. Ich kann übrigens bestätigen, daß sie das immer noch tun, und gebe auch zu, daß ich mich selbst mit großem Interesse daran beteilige, während mich das zeremonielle Getue in einer Reformgemeinde zu Tode langweilt.
Rabbi Berkowitz führt mir sein Prachtstück vor. Am Schabbes geht es dort mit Orgel und Choral, ganz wie damals zu Hause in Deutschland zu, und sowieso sieht eigentlich alles genau wie in der protestantischen Kirche aus. Der Kaffee-und-Kuchen-Raum ist nicht ganz so erhebend, ein praktischer Mehrzweckraum im basement , ohne Fenster, aber an eine Küche angeschlossen. Die Damensitzen an Vierertischen und sind so zwischen siebzig und achtzig, ich rechne mir aus, daß die meisten child-survivors des Holocaust sein müssen, und frage mich, wo ihre Männer sind. Sind sie schon tot? Sind die Frauen alle geschieden? Waren sie nie verheiratet? Rabbi Berkowitz stellt mich kurz vor und hält mich dann an, mich an einen der Tische dazuzusetzen, einfach ans Eck, und später an andere Tische zu wechseln, um ins Gespräch zu kommen. Das tue ich also, wir rücken alle ein bißchen herum, ich beginne meine Konversation, auf deutsch, sage, daß ich nach dem Krieg in Berlin geboren bin, meine Mutter aber aus Wien und mein Vater aus Frankfurt stammen, und frage, aus welchen deutschen Orten sie kämen. Aus Zwickau, sagt die eine, aus Hannover die andere, aus Landau die dritte, die Frau mir gegenüber sagt, aus Würzburg. Aber deutsch sprechen sie nicht. Sie sprechen die ganze Zeit, wenn auch mit starkem Akzent, englisch. Ich frage, ob es ihnen lieber wäre, wenn wir englisch sprächen. Nein, nein, das sei schon in Ordnung, ich solle nur weiter deutsch reden, sie aber sprächen lieber englisch. Ich bin ein bißchen verlegen und weiß nicht so recht weiter, da sie auch keine besondere Neugier oder irgendein Interesse zeigen,
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