Das Ultimatum
Morde nicht aus den Gründen verübt wurden, die in dem Brief angegeben sind, sondern dass andere Motive dahinterstecken könnten?«
Stansfield hob überrascht die Augenbrauen. »Nicht dass ich wüsste.«
»Und es hat auch niemand in der Agency dem Weißen Haus gesagt, dass irgendwelche Erkenntnisse gewonnen wurden, die auf ein anderes Motiv als das im Brief angegebene schließen lassen?«, fragte Roach mit etwas mehr Nachdruck.
»Nein, ich hätte gedacht, diese Theorie stammt von euch.«
Roach seufzte frustriert. »Nein, wir haben dem Weißen Haus nichts dergleichen gesagt.«
»Warum erzählen der Präsident und seine Leute dann überall herum, dass ihr eine solche Theorie vertretet?«
»Das würde ich eben gern herausfinden.«
»Wenn das so ist, würde ich vermuten, dass sie irgendwas im Schilde führen.« Stansfield lehnte sich in seinem Stuhl zurück und blickte auf die Weltkarte an der Wand.
»Ja, dieses Gefühl habe ich auch.« Roach hielt nachdenklich inne und holte tief Luft. »Irgendeine Idee, was Sie an meiner Stelle tun würden?«
Stansfield überlegte einige Augenblicke. Er war normalerweise sehr zurückhaltend mit Ratschlägen, aber er und Roach waren aus demselben Holz geschnitzt. Er verstand sehr gut, wie sich sein Amtskollege vom FBI gerade fühlen musste. Heute war es Roach, dem sie möglicherweise übel mitspielten – aber morgen könnte es ihm selbst ebenso ergehen.
»Vielleicht wäre es keine schlechte Idee, gegenüber den Medien anzudeuten, dass Sie keine Ahnung haben, wovon das Weiße Haus redet.«
Roach dachte einige Augenblicke über den Vorschlag nach. Ihm gefiel der Gedanke, selbst aktiv zu werden. »Danke, Tom. Ich glaube, Sie haben mir geholfen. Wenn Sie irgendetwas hören, lassen Sie es mich bitte wissen.«
»Mach ich«, sagte Stansfield, legte den Hörer auf und schloss die Augen. Mike Nance und seine Kumpane machten ihm allmählich Sorgen. Nance war der Mann, der im Weißen Haus die Fäden zog und der über die entsprechenden Verbindungen verfügte.
Garret saß in seinem Büro, die Füße auf den Schreibtisch gelegt. Es war Montagmorgen, kurz nach sechs Uhr, und er hatte immer mehr das Gefühl, dass sein Plan aufging. Mit einer Zigarette im Mundwinkel saß er da und blickte auf die Zeitungen, die er vor sich auf dem Schreibtisch liegen hatte. Wie leicht es doch war, die Medien zu manipulieren. Auf der Titelseite der Washington Post stand in großen Lettern: »Dunkle Verschwörung hinter Politikermorden?« In der New York Times wiederum stand zu lesen: »FBI meint, Attentäter wollen Budget verhindern.« Und im Washington Reader lautete die Schlagzeile: »FBI hält den Brief für ein Täuschungsmanöver.« Garret lachte laut auf. Es war alles so einfach gewesen. Und es spielte keine Rolle mehr, ob das Ganze erfunden war oder nicht; es ließ sich so oder so nicht mehr aufhalten. Das amerikanische Volk würde die Schlagzeilen lesen und sie für bare Münze nehmen. Die Sympathiewerte für den Präsidenten würden in die Höhe schnellen, womit die zweite Amtszeit so gut wie gesichert war. Garret schüttelte den Kopf und grinste, als er an die Macht dachte, die er in seinen Händen hielt.
Der Plan des Stabschefs war im Grunde sehr einfach. Er brauchte nichts anderes zu tun, als den Präsidenten weiter als Opfer darzustellen und zu hoffen, dass die Idioten vom FBI die Täter fassen konnten. Wie leicht es doch war, seine Macht gegenüber Leuten mit Prinzipien, wie diesem Roach, auszuspielen. Während sie immer erst entscheiden mussten, ob eine bestimmte Vorgehensweise grundsätzlich richtig oder falsch war, ging es Garret nur darum, nicht erwischt zu werden. Er hielt sich nicht lange mit irgendwelchen Gesetzen oder moralischen Prinzipien auf. Sein Job war es, das, was er sich vornahm, zu erreichen.
Direktor Roachs Limousine hielt um 6:55 Uhr vor dem Hyatt-Hotel an. Er war gekommen, um eine kurze Rede vor der National Convention of Police Chiefs zu halten. Nach den Mordfällen hatte er überlegt, ob er nicht einen seiner Stellvertreter zu dem Termin schicken sollte, aber nach dem kurzen Gespräch mit Stansfield beschloss er, selbst hinzugehen. Er hatte soeben einen Artikel im Washington Reader zu Ende gelesen, in dem zu erfahren war, dass laut FBI eine Verschwörung gegen den Präsidenten hinter den Morden stecke. Als ihm seine Leibwächter die Wagentür öffneten, kamen sogleich einige Reporter und Kameraleute herbeigeeilt. Roach stieg aus dem Wagen und begrüßte die
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