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Das unendliche Blau

Das unendliche Blau

Titel: Das unendliche Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Hohberg
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unbeschwert klingen zu lassen. »Er hat uns eingeladen.«
    »Ich weiß. Das Haus da oben in Verucchio wird dir gefallen. Ich bin oft dort gewesen. Diese Nachmittage am Küchentisch werde ich nie vergessen. Seine Mutter ist eine großartige Köchin, ständig will sie einem was Gutes tun. Hier eine Suppe, dort noch etwas Pasta oder einen kalten Braten. Männer brauchen was Ordentliches im Magen, hat sie immer gesagt.« Er kratzt sich am Hinterkopf. »Sie ist übrigens sehr krank.«
    Sie nickt langsam. »Silvio hat’s mir gesagt.«
    Michele hebt die Augenbrauen. »Er spricht so gut wie nie darüber.«
    Sie klopft sich ein Kissen im Rücken zurecht. »Nun, es gibt so Momente, da ist Menschen nach Reden zumute«, sagt sie beiläufig.
    »Eigenartig«, entgegnet er. »Silvio redet sonst erst nach ein paar Gläsern Wein …«
    »Du wirst an seinem Geburtstag endlich Lina kennenlernen«, unterbricht sie ihn. »Und Hans natürlich auch.«
    »Ja, ja.« Er wirkt irritiert. »Warum ist dein Ex-Mann eigentlich nach Bologna gekommen?«, fragt er schließlich. »Ich hatte immer den Eindruck, ihr habt in den letzten Jahren kaum noch Kontakt gehabt, und nun besucht er dich.«
    Sie presst die Lippen aufeinander. »Er wollte einfach seine Tochter begleiten«, erwidert sie dann. »Außerdem hatte er Lust auf Italien.«
    »Zwischen ihm und dir …«
    »Ach,
das
meinst du?« Sie ist erleichtert. »Hans und ich haben uns wieder ein bisschen angenähert, nachdem wir jahrelang nur das Nötigste miteinander gesprochen haben. Aber da ist nichts mehr.« Sie fährt ihm mit der linken Hand über den Kopf. »Bist du etwa eifersüchtig?«
    Er nickt, und kurz darauf schüttelt er den Kopf. »Ich weiß auch nicht, Martha. Wenn du nicht an dein Handy gehst, mache ich mir bereits Gedanken. Wenn du auf eine SMS von mir nicht gleich reagierst, glaube ich schon, du gehst wieder zu deiner Familie nach Deutschland zurück. Wenn …«
    »Es ist nichts von alldem«, fährt sie dazwischen. »Und wenn ich auch sonst nicht viel weiß, aber eines weiß ich ganz sicher: Ich werde nicht in dieses miese kleine Einfamilienhaus hinter den Thujahecken zurückkehren.«
    »Es ist dein Zuhause.«
    »Das ist es schon lange nicht mehr. Es ist ein Ort, an dem ich mein Leben abgesessen habe.«
    »Du klingst so bitter heute.«
    Ja, denkt sie, bin ich auch. Ich habe meine Tage hinter mich gebracht, ohne viel zu verlangen. Ich habe Deadlines in der Redaktion eingehalten und Lina das Essen hingestellt und Papa die Wäsche gewaschen, und abends habe ich den Wecker auf sieben Uhr gestellt und mir die Decke über den Kopf gezogen. Selbst Träume habe ich mir versagt, bis jetzt. Jetzt stehe ich da mit einem Traumüberschuss und weiß nicht, wohin damit. Es bleibt keine Zeit mehr, all diese schönen Träume zu leben.
    »Heißt das, dass du deine Zelte in Deutschland abbrechen willst, um hierzubleiben?«, unterbricht er ihre Gedanken.
    Sie atmet hörbar ein und wieder aus. »Du stellst zu viele Fragen, Michele.«
    »Vielleicht, weil ich Antworten will.«
    Sie spürt, dass er meint, was er sagt. Und sie spürt, dass ihr heiß wird. Heiß und schwindlig.
    »Schau mal.« Sie zeigt Richtung Tür. Dorthin, wo die schwarz-weiße Hutschachtel steht.
    Sein Blick folgt ihrer Hand. »Was ist das?«
    »Das ist für dich.«
    »Ein Geschenk?«
    Sie nickt.
    Er steht auf, holt die Schachtel und setzt sich damit wieder aufs Sofa. Sie beobachtet seine Finger, die behutsam die rote Schleife aufknüpfen. Als er den kleinen blauen Fesselballon herausholt, verheddert sich das Körbchen unten in den Schnüren. Martha hilft Michele, das Knäuel zu entwirren.
    »Mein Gott, ist der schön.« Er hält das Spielzeug hoch und besieht es sich von allen Seiten. »Wo hast du den gefunden?«
    »In dem kleinen Laden in der Via Solferino. Es gab viele von denen dort, ein ganzes Fenster voller Ballons.«
    »Woher wusstest du, dass Blau meine Lieblingsfarbe ist?«
    »Ich hab einfach die Farbe deiner Augen genommen.«
    »Ich mag altes Kinderspielzeug. Es erinnert an Zeiten, die vorbei sind und doch bis ans Ende unserer Tage in uns nachwirken.«
    Sie sieht ihn an, und Gänsehaut legt sich um ihr Herz, weil sie das Ende ihrer Tage so dicht vor sich weiß und sich plötzlich nichts sehnlicher wünscht als Zukunft, die mehr als nur ein Morgen kennt. Eine Zukunft, von der man zwar weiß, dass sie irgendwann endet, aber nicht weiß, wann das sein wird. Eine Zukunft, die einem die Illusion schenkt, dass noch alles drin ist

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