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Das unendliche Blau

Das unendliche Blau

Titel: Das unendliche Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Hohberg
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selbst nicht.
    Sie zieht nun den Stöpsel heraus und legt sich wieder zurück. Sie wartet, bis das Wasser die Wanne verlassen hat, dann steht sie auf und greift sich das große Badetuch, das an einem Haken neben dem Boiler hängt. Ihre Hände haben jetzt diese schrumpelige Haut, die beim Baden entsteht. Lina fand das als kleines Mädchen immer lustig, und am liebsten hätte sie Stunden in der Wanne verbracht, nur um den Eltern anschließend ihre aufgeweichten Fingerchen entgegenzustrecken.
    Heute Abend ist Lina mit Hans im Kino. Vater und Tochter. Ohne Mutter.
    So kann’s gehen, denkt Martha und fährt sich beim Abtrocknen über den Bauch. Sie spürt wieder diese Krämpfe darin, als würden ihre Eingeweide sich zu Fäusten ballen. Hinzu kommt die Übelkeit, die in den letzten Tagen zugenommen hat. Dass sie sich unendlich müde fühlt, schiebt sie auf das heiße Bad. Sie holt tief Luft und bezahlt das sofort mit einem Hustenanfall. Er ist rauh, der Husten, rauh und trocken, und er will nicht aufhören. Martha taumelt zum Fenster und will es aufreißen. Es klemmt, und als sie daran zerrt, wird ihr plötzlich schwarz vor Augen. Es ist ein abgrundtiefer Schwindel, der sie zu Boden gehen lässt. Und während sie auf die Fliesen sackt, spürt sie noch kalten Schweiß, der sich in winzigen Tröpfchen auf ihre Stirn legt. Dann spürt sie nichts mehr.
     
    »Martha, was ist los?«
    Micheles Stimme holt sie wieder zurück.
    Sie schlägt die Augen auf und sieht in seine Augen. Er kniet neben ihr und streicht ihr die feuchten Haare aus der Stirn. Seine Hand ist warm.
    Sie hört ihren Atem. Ein Geräusch, das ihr fremd ist. Wie ein fernes Rasseln. Als sie versucht, etwas zu sagen, bringt sie kein Wort heraus, sie hustet nur.
    Michele steht auf und greift nach einem Bademantel, der neben dem Waschbecken hängt. »Kannst du dich aufsetzen?«, fragt er.
    Martha nickt und stemmt sich hoch.
    Er legt ihr den Frotteemantel um die Schultern und drückt sie fest an sich. Sie zittert. Aus dem Zittern wird Schüttelfrost. Ihre Zähne schlagen aufeinander.
    »Versuch aufzustehen«, sagt er und zieht sie langsam nach oben. Sie taumelt etwas, doch seine Arme halten sie.
    Schritt für Schritt gehen sie zurück in den Wohnraum. Michele setzt Martha auf das Sofa, legt ihre Beine hoch, schiebt ihr ein Kissen unter den Kopf. Dann holt er eine Wolldecke aus dem Schlafzimmer und deckt sie damit zu. Das Licht der Stehlampe dimmt er ein wenig herunter.
    »Danke«, flüstert Martha, und sie ist froh, dass ihre Stimme wieder da ist und das Zittern nachlässt.
    »Was ist passiert?«
    »Ich hab gebadet. Wahrscheinlich war das Wasser zu heiß, oder ich bin zu schnell raus aus der Wanne. Mir ist plötzlich schwindlig geworden.«
    »Hast du so was öfter?«
    »Mein Kreislauf war noch nie besonders stabil«, lügt sie.
    »Es gibt Yoga-Übungen, mit denen man mehr Stabilität aufbauen kann. Ich werde dir ein paar davon zeigen, wenn du wieder fit bist.«
    Sie lächelt und nimmt seine Hand. Sie hustet.
    Er runzelt die Stirn. »Erkältet hast du dich anscheinend auch noch.«
    »Schon möglich«, erwidert sie. »Lina hat sich irgendwas eingefangen auf der Zugfahrt. Wahrscheinlich hat sie mich angesteckt.«
    »Hast du Fieber?«
    Sie winkt ab. »Alles halb so schlimm. Jetzt sieh mich nicht so an.«
    »Hör mal, ich hab einen ziemlichen Schrecken gekriegt.«
    Ich auch, denkt sie.
    Bislang haben ihr die Tabletten und Infusionen einen gewissen Halt verschafft, ja fast so etwas wie Normalität. Eine Illusion von Normalität, das hat sie immer gewusst. Doch dies hier ist neu. Es ist das, wovon alle gesprochen haben, ihre Ärztin zu Hause in Deutschland, ihr Arzt in Bologna, selbst die Krankenschwester, die sie in der onkologischen Praxis nun alle drei Tage an den Tropf hängt, damit das Mittel, das da in Marthas Venen tropft, die verbliebenen Abwehrkräfte mobilisiert.
    Und nun dieser Schwindel, diese Ohnmacht, dieser Sturz. Als ob eine Ampel in ihrem Körper von Orange auf Dunkelorange wechselt. Martha weiß: Das Rot ist unausweichlich.
    »Es ist wirklich alles in Ordnung, Michele«, beruhigt sie ihn lächelnd. Die Tapferkeit lächelt mit.
    Er lächelt zurück. »Ich liebe dich, Martha.«
    Sie sagt nicht »Ich dich auch«. Sie nimmt ihre Antwort dorthin mit, wo er nicht hinkommt. Nicht hinkommen kann, weil sie es ist, die ihm den Weg versperrt.
    Eine Weile schweigen beide.
    Schließlich setzt Martha sich auf. »Silvio war hier«, erzählt sie, bemüht, ihre Stimme

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