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Das unendliche Blau

Das unendliche Blau

Titel: Das unendliche Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Hohberg
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ist fünf Uhr morgens, als es klingelt. Lina sitzt im Wohnzimmer. Sie springt aus dem Sessel hoch, um ihrem Vater die Tür zu öffnen.
    Hans sieht müde aus. Er ist blass und unrasiert, seine mittlerweile grauen Haare hängen ihm in die Stirn und zeigen, dass er vergessen hat, sich zu kämmen. Sein Trenchcoat weist Sitzfalten auf. Die braune Cordhose beult sich an den Knien aus, die blauen Schuhe passen nicht zum Braun der Hose. Er legt normalerweise Wert auf solche Sachen, das weiß Lina, und es will sich schon ein Lächeln in ihr Gesicht setzen, doch sie pfeift es schnell wieder zurück.
    »Magst du einen Kaffee?«, begrüßt sie ihren Vater. Ihre Stimme klingt kühl.
    Er nickt und wirft seinen Mantel auf den alten Korbstuhl, der neben der Garderobe steht. Es waren mal vier Stühle, und sie standen um den Esstisch, als Lina noch klein war. Drei gingen irgendwann kaputt; nur dieser hat durchgehalten.
    Hans bedenkt den Stuhl mit leicht abfälligem Blick, einem Blick, dem er Kopfschütteln zugibt.
    In der Küche setzt Lina Wasser auf. Sie holt die große geblümte Kaffeekanne aus dem Regal, stellt den Porzellanfilter darauf, legt eine Filtertüte ein und gibt ein paar gehäufte Löffel aus einer Blechdose hinein.
    »Trinkt ihr immer noch diesen scheußlichen Filterkaffee?« Er setzt sich an den Küchentisch.
    Als Antwort knallt sie zwei Becher, Löffel, eine Zuckerdose und eine Tüte Milch aus dem Kühlschrank auf den Tisch.
    »Deine Mutter ist also einfach so verschwunden?«, hält er mit versöhnlichem Tonfall dagegen.
    Lina gießt Wasser in den Filter und wartet darauf, dass es langsam durchtropft. »Ja, plötzlich war sie weg. Ich hab den Gästen gesagt, ihr sei nicht wohl gewesen und sie habe sich hingelegt. Die meisten haben’s geglaubt.«
    »Hat es irgendetwas gegeben, das …?« Sein Blick bleibt an den roten Rosen hängen, die in dem Putzeimer aufblühen.
    Lina fängt den Blick auf und setzt einen abgeschlagenen Deckel auf die Kanne. Einen Deckel, dessen Knauf bei irgendeinem vergangenen Frühstück zu Bruch gegangen ist. »Ich kleb ihn wieder zusammen«, sagte Hans damals, und wie so oft ist es bei dem Versprechen geblieben. Er ist jemand, der seine Vorsätze nahezu täglich schreddert.
    »Was hast du dir eigentlich dabei gedacht, diese Blumen zu schicken?« Lina gießt ihnen beiden Kaffee ein.
    »Na ja, zum Fünfzigsten …«
    »Ausgerechnet rote Rosen«, unterbricht sie ihn.
    »Ich dachte …«
    »Manchmal solltest du das ein bisschen mehr tun. Denken, meine ich.«
    »Lina, das ist jetzt elf Jahre her, seit deine Mutter und ich uns getrennt haben.«
    »Du meinst, seit du sie verlassen hast.«
    »Sie wollte, dass ich gehe.«
    »Du hast sie betrogen.«
    »Das war … ach, Scheiße noch mal, ich hatte meine Gründe. Aber du willst mir doch nicht erzählen, dass sie meinetwegen heute hier abgehauen ist.«
    Lina pustet in ihre Tasse und nimmt einen kleinen Schluck. Sie schüttelt den Kopf. Sie sagt nichts.
    »Hast du sie auf ihrem Handy erreicht?«, wechselt er das Thema.
    »Sie hat’s hiergelassen.«
    Er sieht sie ungläubig an. »Du willst damit sagen, sie ist
ohne
ihr Telefon losgefahren?«
    Sie nickt.
    »Martha hat niemals ohne ihr Handy auch nur einen Schritt getan.«
    »Ich weiß.«
    »Was hat sie denn mitgenommen?«
    »Nur das Nötigste, soweit ich das sehen konnte. In ihrem Kleiderschrank sind ein paar leere Bügel. Im Bad fehlen vier, fünf Sachen, und, ja, ihren Laptop hat sie dabei.«
    »Kein Zettel? Keine Notiz?«
    Sie schüttelt den Kopf.
    Er schiebt die Kaffeetasse auf dem Tisch hin und her. »Vielleicht ist sie bei einer ihrer Freundinnen.«
    »Die waren alle hier.«
    »Ist wirklich nichts vorgefallen gestern Abend?«
    »Na ja, es gab eine kleine Auseinandersetzung zwischen Ingrid und Mama.«
    »Um was ging es?«
    »Um Carpe diem.«
    »Carpe diem?«
    »Ingrid meinte, das könnte sich heute keiner mehr leisten. Und da ist Mama ausgerastet.«
    »Aber deshalb verlässt man doch nicht Hals über Kopf seine eigene Geburtstagsfeier. Und deine Mutter tut so was schon gar nicht.« Er klingt ungehalten.
    Lina beugt sich vor und schlägt mit der rechten Faust auf den Tisch. Die Bewegung gerät heftiger als beabsichtigt. »Ich weiß auch nicht mehr, Papa. Ich weiß nur, dass sie nach diesem Streit fast fluchtartig das Zimmer verlassen hat und nicht wiedergekommen ist. Ich weiß, dass sie nun seit etwas mehr als vier Stunden weg ist. Ich weiß, dass seitdem kein Anruf von ihr kam. Und ich weiß nicht,

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