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Das unendliche Blau

Das unendliche Blau

Titel: Das unendliche Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Hohberg
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Schürze. »Posso aiutare?«
    Sie zuckt mit den Schultern.
    »Do you speak English?« Er sieht sie aufmunternd an.
    Sie nickt dankbar.
    »You want to sit down?« Sein Englisch klingt italienisch.
    Auf ihr erneutes Nicken hin dreht er sich um und steuert einen der kleinen Tische an, wischt kurz mit einer Serviette, die er aus seiner Schürze zieht, über die blanke Oberfläche und schiebt Martha den Stuhl so hin, dass sie sich setzen kann.
    Kurz darauf kommt er mit einer Karte zurück, aber sie sieht gar nicht hinein, sondern bittet ihn, ihr einfach ein Glas Rotwein zu bringen. Als er mit einem großen Glas und einer Flasche Morellino di Scansano erscheint und ihr das Etikett hinhält, lächelt sie. Ja, der sei okay.
    »You know this wine?«
    »Si«, entgegnet sie, und er scheint sich zu freuen über dieses kleine italienische Wort aus ihrem Mund.
    Er schenkt ihr ein wenig ein, sie probiert, nickt und lässt sich das Glas füllen.
    »You want something from our buffet?« Er zeigt nach drinnen, wo Leute mit Tellern an einem Tisch stehen und sich bedienen. »It’s all free«, ergänzt er.
    »Grazie«, erwidert sie und holt sich ein Lächeln ab. »Do you have an ashtray?«
    Er runzelt die Stirn.
    Sie holt Zigaretten und Feuerzeug heraus.
    »Ah, capisco.« Er bringt einen Aschenbecher von der Bar und stellt ihn vor ihr auf den Tisch. »Un portacenere«, erklärt er.
    »Porta …?«
    »… cenere!«
    »Difficult word.«
    »Where do you come from?«
    »From Germany.«
    »Ah, Germania. Bellissima.« Sein Nicken ist anerkennend. »Salute«, meint er dann, als sie ihr Glas hebt.
    »Grazie«, sagt sie wieder, und sie freut sich darauf, bald mehr sagen zu können als nur das.
    Sie zündet sich eine Zigarette an, bläst den Rauch langsam aus und lehnt sich zurück. Die Finger ihrer anderen Hand spielen mit dem Stiel des Weinglases.
    Es kommen immer mehr Menschen in die Bar; alle werden herzlich begrüßt und an die noch verbliebenen freien Tische gesetzt. Stühle werden verschoben, Gläser aufgetragen, Flaschen entkorkt. Bald ist Martha umgeben von Gesprächen, die sie nicht versteht. Es wird viel gelacht, viel gestikuliert, viel posiert. Die Frauen tragen teure Handtaschen und tiefe Dekolletés, die Männer große Uhren und schwarze Haare an den Unterarmen.
    Der Flirt scheint hier Stammgast zu sein; er geht von Tisch zu Tisch, nur die wenigen, an denen Touristen sitzen, ignoriert er. Dort wird mehr geschwiegen als geredet. Es sind meist Paare mittleren Alters, die sich nahezu stumm gegenübersitzen, bis auf ein paar spärliche Sätze, die sie zwischendrin fallenlassen.
    Ob sie den Zimmerschlüssel eingesteckt habe, will ein Deutscher nebenan von seiner Frau wissen. Sie sagt ja, wühlt in einer braunen Kunstledertasche und sagt noch mal ja. Ungefähr zehn Minuten später erklärt sie, es sei schön hier. Er brummt Zustimmung und fragt dann, wie lange sie noch bleiben wolle. Sie trinkt hastig ihren Wein aus. Wenig später zahlen sie. Als sie gehen, läuft sie etwa einen halben Meter hinter ihm her.
    Martha muss an ihre Urlaube mit Hans denken. An die letzten, die sie gemeinsam machten. Die, in denen bereits eine Ahnung von Ende mitgefahren war. Auch sie schwiegen am Schluss. Suchten sich nicht mehr mit Blicken. Tauschten Notwendigkeiten aus und ließen die wirklich wichtigen Dinge ungesagt. Er ging manchmal spätabends noch kurz vor die Tür, raus aus dem Hotel, auf die Straße, immer mit irgendeiner Ausrede und seinem Telefon dabei. Sie wusste, dass er dann mit einer anderen Frau redete. Vermutlich in fünf Minuten mehr redete als den ganzen Tag mit ihr, mit Martha, die sich oben im Badezimmer abschminkte und ihr Gesicht im Spiegel betrachtete. Ende dreißig war sie damals, und sie war hübsch. Aber sie war auch traurig, und dieses Traurigsein zog ihre Mundwinkel nach unten wie ein bleiernes Gewicht. Im Alltag versuchte sie, dagegen anzulächeln, aber in solchen Hotelspiegel-Momenten sah sie, was dieses Gewicht anzurichten imstande war. Wenn Hans zurückkam, lag sie meist schon im Bett, im Pyjama, die Decke bis unters Kinn gezogen. Sie hielt die Augen geschlossen. Er sollte denken, sie schlafe bereits, und er nahm das stets dankbar an.
    Jetzt schüttelt sie den Kopf, als sie dem deutschen Paar nachblickt, und etwas in ihr atmet auf.
    Der Wein schmeckt ihr. Sie bestellt sich ein zweites Glas, und dann steht sie auf und holt sich vom Büfett drinnen Brot, in dicke Würfel geschnittene Mortadella, Parmigiano, eingelegte Bohnen,

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