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Das unendliche Blau

Das unendliche Blau

Titel: Das unendliche Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Hohberg
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da oben entladen.«
    »Das hat dich zumindest beruhigt und abgelenkt, bis das Theater vorbei war.«
    »Und heute?«
    »Na ja«, er stößt mit der Spitze seines Gummistiefels gegen einen Stein und kickt ihn Richtung Wasser, »ich fürchte mal, das alles geht nicht so schnell vorbei wie dieses Gewitter hier.«
    »Meinst du, sie kommt zurück?«
    Der Stein wird von einer Welle geholt, hin und her gewirbelt und an anderer Stelle wieder abgelegt.
    »Ich weiß es nicht. Deine Mutter war immer sehr pflichtbewusst. Ja, geradezu pflichtversessen, hin bis zur Selbstaufgabe …«
    »Hat dich das gestört?«
    »Gestört?« Er holt tief Luft. »Genervt hat mich das. Verrückt gemacht. Man konnte sich nur schäbig fühlen neben ihr.«
    »Du hast nie darüber gesprochen.«
    »Du hast mich nie danach gefragt.«
    »Bist du deshalb fremdgegangen?«
    »Es wäre zu einfach, wenn ich jetzt ja sage. Martha …«, wieder sucht sich sein Fuß einen Stein, »… Martha hat mir meine Unzulänglichkeit täglich vorgehalten. Jahrelang habe ich versucht, es ihr recht zu machen, aber kein Mensch auf dieser Welt kann es ihr recht machen. Sie ist streng mit sich und streng mit anderen.«
    »Wollen Männer denn immer nur Bestätigung?«
    »Mein Gott, ja. Und nein. Diese Gleichung ist zu simpel. Ich glaube, jeder Mensch möchte um seiner selbst willen geliebt werden. Deine Mutter hat den Finger in die Wunden gelegt, statt sie zu verbinden und heilen zu lassen.«
    »Und du? Du hast nichts Besseres zu tun gehabt, als schnell die Flucht zu ergreifen.«
    »Das war keine Flucht. Das war Selbstschutz.«
    »Sie hat dich geliebt.«
    »Ich sie auch.«
    »Ach ja?«
    »Ja, verdammt noch mal. Aber sie wollte irgendwann einen Hans lieben, der ich nicht sein konnte. Vielleicht auch nicht sein wollte, so genau weiß man das ja nie.«
    »Und dann hast du eben bei den anderen Frauen gefunden, was du bei ihr vermisst hast.« Sie schaut vor sich in den nassen Sand.
    »Sieh mich an, Lina. Ich bin allein. Nein, nein, man findet nicht so leicht. Mittlerweile glaube ich, ich habe mich selbst irgendwann verloren.«
    »Ach, Papa, das alte Selbstmitleid …« Noch vor zwei Tagen hätte dieser Satz aus ihrem Mund das Geräusch einer Ohrfeige gehabt. Jetzt klingt er eine Spur nachsichtiger.
    »Hast
du
einen Freund?«
    Sie presst die Lippen aufeinander, um sie dann mit einem kurzen Knall aufspringen zu lassen. »Warum willst du das wissen?«
    »Na ja, sagen wir mal, aus Interesse.«
    »Nein. Zurzeit nicht.«
    »Gab’s da jemanden?«
    »Keine schöne Geschichte.«
    Er nickt.
    Sie erwartet, dass er jetzt nachfragt, aber er belässt es bei dem Nicken.
    Eine Zeitlang sagen beide nichts. Sie verständigen sich wortlos, umzukehren und den Weg zurück anzutreten, während sich Himmel und Meer immer wütender geben. Es donnert und blitzt in schnellem Wechsel, auch der Regen hat seine Taktzahl erhöht.
    Als plötzlich Linas Handy klingelt, suchen sie Schutz in einem Strandkorb. Hans klappt die weiß-blaue Sonnenmarkise herunter, die augenblicklich vor dem Wolkenbruch kapituliert.
    Sie setzen sich dicht nebeneinander auf die kleine Bank, auf der gerade mal zwei Erwachsene Platz finden.
    Früher, da kuschelten sie sich manchmal zu dritt in einen Strandkorb. Martha und Hans nahmen Lina in die Mitte. Es roch nach Sonnenöl und warmer Haut. Auf dem ausklappbaren Tischchen stand immer eine gelbe Plastikbox, in die Martha belegte Brote und Gurkenstückchen und hart gekochte Eier gepackt hatte. Wenn Lina bibbernd aus dem Wasser kam, rubbelte die Mutter sie mit einem großen Frotteetuch trocken. Ein hellblaues Frotteetuch, auf dem sich bunte Delphine, Seesterne und Muscheln tummelten und das immer ein bisschen sandig war. Danach gab es etwas zu essen, und genau dieser Geschmack von Sommer ist es, der Lina jetzt erwischt. Erwischt wie ein Streifschuss, bevor sie in Deckung gehen kann. Erwischt, während sie mit ihrem Vater auf den kalten nassen Plastikpolstern sitzt und mit klammen Fingern das Handy aus der Tasche ihres Anoraks holt.
    Sie sieht aufs Display. Eine lange, ihr unbekannte Nummer. Sie drückt auf das Symbol mit dem grünen Telefonhörer.
    »Hallo?«
    »Lina?«
    »Ja?«
    »Ich bin’s.«
    »Mami, endlich! Wo bist du?«
    »In Bologna.«
    »Was tust du da? Wieso bist du einfach …?«
    »Mir geht es gut, Lina. Du musst dir keine Sorgen machen.«
    »Das tu ich aber. Du verlässt ohne ein Wort deine Geburtstagsparty, und dann kriegen wir einen Anruf von deiner Ärztin, die uns sagt,

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