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Das unendliche Blau

Das unendliche Blau

Titel: Das unendliche Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Hohberg
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dass …« Sie schluckt das Ende des Satzes hinunter. Als wollte sie die Tatsachen einfach nicht in die Welt lassen.
    »Ich weiß. Und ich kann dir das jetzt auch nicht erklären. Ich weiß nur, dass ich eine Weile hierbleiben werde.«
    »Soll ich kommen?«
    »Nein. Jedenfalls nicht sofort. Schau, ich muss über vieles nachdenken. Ich brauche Abstand. Und Zeit für mich.«
    »Was tust du denn da unten?«
    »Italienisch lernen.«
    Lina holt tief Luft. »Mami, du bist krank.« Krank – ein Wort, das Rücksicht nimmt. Das nicht die ganze Wahrheit beim Namen nennt. Das ausspart, worum es wirklich geht.
    »Deshalb bin ich hier.«
    »Und deine Arbeit?«
    »Die werden andere machen.«
    »Die Ärztin hat gesagt, du sollst sie anrufen.«
    »Das hab ich gerade getan.«
    »Musst du denn nicht in die Klinik? Ich meine, es gibt doch Möglichkeiten. Chemotherapie … was weiß ich …«
    »Lina, hör zu. Ich will das alles nicht. Damit würde es mir schlechtgehen, sehr schlecht sogar. Das wäre der Preis für ein paar Monate mehr Leben. Aber es wäre ein verdammt mieses Leben.«
    »Ja, aber …«
    »Kein Aber. Du hast jetzt meine Telefonnummer. Wir können jederzeit miteinander reden. Und das werden wir auch, das verspreche ich dir. Vielleicht kannst du sogar irgendwann hierherkommen, aber jetzt ist es noch zu früh dafür, glaub mir.«
    »Gehst du dort zu einem Arzt?«
    »Natürlich. Aber ich gehe in kein Krankenhaus.«
    Lina wischt sich mit dem Ärmel ihres Anoraks über das Gesicht. »Wo wohnst du? In einem Hotel?«
    »Nein, in einer hübschen kleinen Wohnung mit einer wunderbaren Dachterrasse.«
    »Wie hast du die so schnell gefunden?«
    »Ich hab eine Freundin hier. Die hat mir geholfen.«
    »Du hast mir nie von ihr erzählt.«
    Martha lacht. Ein Lachen, das Lina nicht von ihrer Mutter kennt. Ein Lachen, das klingt, als hätte man ihm nach langer Gefangenschaft Freigang gewährt. »Hey, erzählst du mir immer, was bei dir los ist?«
    »Nein, aber … das hier ist alles so neu für mich. Diese ganze Situation. Ich mach mir Scheißsorgen seit gestern, und du klingst, als würdest du mal kurz aus einem Urlaub anrufen, um mir mitzuteilen, dass das Wetter super ist. Mami, ich hab wirklich Angst um dich.«
    »Die hab ich auch. Und deshalb versuche ich, dagegen anzuleben. Ich will dieser Angst nicht das Steuer überlassen, verstehst du?«
    Lina nickt in den Hörer hinein. Sie sagt nichts.
    Das Rauschen in der Leitung frisst die Sekunden, die vergehen. Sekunden, in denen beide den Schlagabtausch von Informationen und Gefühlen einzuordnen versuchen.
    »Ist jemand bei dir?«, fragt Martha schließlich.
    »Ja, Papa. Er sitzt neben mir.«
    »Wo seid ihr?«
    »In einem Strandkorb. Wir haben ein Gewitter hier. Es regnet.«
    »Kommt ihr klar?«
    »Warum willst du das wissen?«
    »Na ja, du und Hans …«
    »Das ist unsere Sache.«
    »Lina, bitte.«
    »Schon okay. Mach dir um uns keine Sorgen.«
    »An welchem Strand seid ihr?«
    »An unserem. Wir sind die Einzigen hier.«
    »Wie sieht die Ostsee aus?«
    »Ziemlich aufgewühlt.«
    »Passt ja irgendwie.«
    Jetzt lacht Lina. Kurz nur, aber so, dass ihre Mutter es hören kann.
    »Gut«, sagt Martha. »Sehr gut sogar, wenn uns das nicht ausgeht.«
    »Was?«
    »Das Lachen.«
    »Du meinst Galgenhumor.«
    »Gar kein schlechtes Wort. Wahrscheinlich ist den Leuten angesichts des Galgens noch mal der ganze volle Wahnwitz aufgegangen.«
    »Mami …«
    »Komm, Lina. Wir schaffen das schon. Ruf an, wann immer dir danach ist. Ich bin da, nur etwas weiter weg.«
    Sie nickt und sagt wieder nichts.
    »Und grüß Hans von mir. Sag ihm bitte auch, die Rosen waren etwas überdimensioniert.«
    »Das hab ich schon.«
    »Ich weiß, dass ich mich auf dich verlassen kann. Ciao.«
    »Tschüss.«
    Lina drückt das Gespräch weg. Und dann lässt sie ihren Blick über den Strand laufen. Der Regen hat kleine Löcher in den Sand gestanzt. Ein Kugelhagel aus Tropfen, der da seine Spuren hinterlassen hat.
    Neben sich spürt sie die Wärme ihres Vaters. Hans schweigt, und sie ist froh, dass er jetzt keine Fragen stellt.

[home]
    10
    L inas Stimme klingt noch nach, hinterlässt Schmauchspuren, während Martha ihre Reisetasche auspackt und die wenigen Sachen, die sie gerade aus dem Hotel in diese kleine Wohnung gebracht hat, in Giulias Kleiderschrank hängt.
    Sie hat die Angst in der Stimme ihrer Tochter gehört, und für einen Moment hat sich ihr Herz zusammengezogen. Und natürlich hat sie sich gefragt, ob die

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