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Das unendliche Blau

Das unendliche Blau

Titel: Das unendliche Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Hohberg
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aus dem Supermarkt gegeben. Oder ein Brot, schnell im Stehen geschmiert.
    »Da draußen auf der Terrasse hab ich irgendwo Lorbeer und Rosmarin gesehen«, sagt sie und streicht sich mit dem Ärmel eine Strähne aus dem Gesicht.
    Michele öffnet die Tür und kommt kurz darauf mit vier Blättern und zwei Stengeln zurück. »Reicht das?«
    »Ja, ja, ist mehr als genug.« Sie halbiert den Lorbeer in der Mitte und steckt die Hälften zusammen mit dem Rosmarinzweig in den Bauch der Dorade. »Schneide du schon mal die Tomaten«, sie zeigt auf eine Schale, »und Zwiebeln und Knoblauch kannst du fein hacken.«
    Er sucht sich Brett und Messer und beginnt zu schneiden. Er arbeitet schnell und präzise. »Kochst du öfter?«, fragt er, während er den Knoblauch erst in dünne Scheiben und dann in Stückchen häckselt.
    Sie schüttelt den Kopf. »Früher, mit meinem Mann, ja, da haben wir gern in der Küche gestanden. Hans mochte gutes Essen. Aber seitdem ich mit meiner Tochter allein lebe, hab ich irgendwie keine Lust mehr.«
    »Wie heißt deine Tochter eigentlich?«
    »Lina.«
    »Und was macht sie?«
    »Sie ist gerade mit der Schule fertig und überlegt, ins Ausland zu gehen.«
    »Soll sie tun. Kinder müssen raus in die Welt.« Er legt das Messer ab und stellt ihr das Brett hin. Dann umfasst er sie von hinten, nimmt ihre Haare hoch und gibt ihr einen Kuss in den Nacken. Es ist eher der Hauch eines Kusses, einer, der mit kleinstmöglicher Berührung Beben auslöst.
    »… schon allein deshalb, weil die Mütter dann wieder zu haben sind«, ergänzt er und dreht sie zu sich um. Sie weiß nicht, wohin mit ihren Händen, an denen noch ein paar der Schuppen kleben, die sie kurz zuvor von der Dorade geschrubbt hat.
    »Ich hab Lust auf dich, Martha.«
    Dass sie das auch hat, muss sie gar nicht mehr sagen. Er spürt, wie sie unter seiner Umarmung nachgibt, und hebt sie auf das Spülbecken.
    Doch nicht hier, will sie noch einwenden, aber da hat er bereits unter ihr Kleid gegriffen, um ihr den Slip auszuziehen. Sie öffnet den Knopf seiner Jeans, findet den Reißverschluss. Sie tut das schnell, ohne Zeit zu verlieren. Dies ist das Gegenteil von letzter Nacht. Sie wollen beide. Jetzt. Sofort. Kein Abwarten, kein Zögern, kein Innehalten.
    Martha hört, wie ihr Atem schneller geht, hört, wie Micheles sich ihrem anschließt, spürt seine Finger in sich, spürt, wie diese Finger augenblicklich nass werden.
    Nun rutscht sie von der Spüle herunter, kehrt ihm den Rücken zu und beugt sich vor.
    Er versteht, was sie will, lacht, streicht über ihre Pobacken und greift dann ihre Hüften. Sie sieht auf den Wasserhahn vor sich, sieht ein kleines »c« und ein kleines »f« auf den Porzellangriffen, bevor sie die Augen schließt und die Beine weit spreizt und fast erstaunt ist über die Wucht und gleichzeitig die Leichtigkeit, mit der er in sie eindringt. Und wie selbstverständlich lässt sie ihr Bewusstsein los, gibt sich nur noch Micheles Bewegungen hin, fühlt, wie sie kommt, und spürt wenig später, wie sich seine Wärme in ihr Raum sucht und binnen Sekunden alles flutet.
    Sie bleiben noch einige Momente so stehen. Dann löst er sich von ihr, dreht sie zu sich um und nimmt ihr Gesicht in beide Hände. »Kann man nach einem Tag schon zu einer Frau sagen, dass man sie liebt?« Seine Stimme klingt belegt. Er räuspert sich.
    Sie sieht ihm direkt in die Augen. Geht schwimmen in seinem tiefen Blau. Und plötzlich tauchen sie wieder auf, kommen zurück, die Tage, die Stunden, die Minuten, die sich aus den warmen Gewässern der Gegenwart in die Untiefen der Zukunft begeben. Sie bringen die Angst mit. Die Angst, dass alles vorbei sein wird, bevor es überhaupt wachsen kann.
    Vor diesem Hintergrund erscheint Micheles Frage auf einmal in einem völlig neuen Licht. Daher muss die Liebe keine Rücksicht nehmen, darf sich nicht aufhalten mit irgendwelchen Fahrplänen, kann ungebremst ihrer ureigensten Natur folgen. Alles andere wäre Vergeudung. Verschwendung von Zeit, die sie nicht mehr hat.
    Vor ein paar Jahren hatte Martha mal ein Interview mit einem alten Fotografen geführt, und er sagte irgendwann, man müsse jeden Tag leben, als ob es der letzte wäre. Sie überlegte damals noch, ob sie diesen Satz herausstreichen sollte aus ihrem Text, weil er ihr zu trivial erschienen war, zu abgedroschen. Ein Satz mit Gebrauchsspuren.
    Hier in dieser Küche wird ihr klar, dass sie gerade dabei ist, jenen Satz erst jetzt wirklich zu begreifen, die ganze

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