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Das unendliche Blau

Das unendliche Blau

Titel: Das unendliche Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Hohberg
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Flügelspanne seiner Aussage wahrzunehmen. Sie ersetzt »leben« durch »lieben«, und dann streicht sie Michele über den Kopf, bahnt sich mit ihren Fingern einen Weg durch sein dichtes Haar.
    »Natürlich«, sagt sie. »Natürlich kann man das. Es wäre sogar dumm, Zeit zu verlieren.«
    Er sieht sie erstaunt an. »Aber wir haben alle Zeit der Welt, Martha.«
    »Wie kannst du dir da so sicher sein?«
    »Na ja, wir können noch so viel tun, so viel erleben, so viel …«
    Sie legt ihm die Hand auf den Mund. »Nicht weiterreden. Bitte.«
    »Aber …«
    »Lass die Abers los. Wir brauchen sie nicht mehr.«
    Er schweigt, und sie weiß, dass er sie nicht versteht. Nicht verstehen kann, weil er keine Ahnung hat, was da in ihrem Körper los ist.
    Sie lächelt, lächelt tapfer aufkommende Ängste weg – und seine Fragen, die er nun stumm formuliert.
    »Ich liebe dich auch, Michele«, sagt sie schließlich, und als er sie fest an sich drückt, spürt sie, dass sie beide wieder im Jetzt ankommen. Fürs Erste, denkt sie, aber das genügt ihr in diesem Moment.
    Aus den Augenwinkeln fällt ihr Blick auf den Fisch, der in einer Kasserolle liegt, neben den Tomaten, der Zwiebel und dem Knoblauch.
    »Hol den Wein aus dem Kühlschrank«, sagt sie. »Ich habe Durst.«

[home]
    13
    P apa?« Lina klopft an die Tür zu Marthas Büro. Dort, wo die alte Couch steht, auf der hin und wieder Gäste übernachten. Dort, wo nun ihr Vater schläft.
    »Papa, bist du wach?« Sie öffnet die Tür einen Spaltbreit.
    Hans liegt auf dem Bauch, den rechten Arm neben dem Kopf. Sein Atem geht unruhig. Das Bettzeug ist zerwühlt.
    Lina sieht auf ihre Uhr. Zwanzig vor elf. Ihr Vater ist immer ein Frühaufsteher gewesen. Dass er um diese Zeit noch im Bett liegt, überrascht sie.
    Zögernd betritt sie den Raum. Ihr Blick irrt umher, versucht, im Halbdunkel des Zimmers die Dinge zu orten. Auf Marthas Schreibtisch liegen Kugelschreiber, Bleistifte, Büroklammern, Radiergummi, Notizblöcke, Fotokopien mit dem Stempel des Verlags, für den sie hauptsächlich arbeitet, ihr Diktiergerät, ein Netzkabel, zwei USB -Sticks. Über der Stuhllehne hängt ein großes Tuch, so eines, das man sich über die Schultern legt, wenn einem kalt ist. Alles wirkt, als sei sie nur mal kurz aufgestanden, um gleich wiederzukommen.
    Wann würde ihre Mutter wiederkommen? Würde sie überhaupt wiederkommen?
    Lina presst die Lippen aufeinander. Eben hat sie auf der italienischen Handynummer, die Martha ihr gegeben hat, angerufen. Ein Mann meldete sich. »Pronto?«, fragte er.
    Lina entschuldigte sich und stammelte, dass sie wohl falsch verbunden sei.
    »Nein, nein«, erwiderte er auf Deutsch. »Warten Sie. Wer spricht denn da?«
    »Lina Schneider. Ich wollte …«
    »Sie wollen Martha sprechen? Sie kann im Moment nicht. Sie wäscht sich gerade die Haare.«
    Lina schluckte. Versuchte, ihre Irritation wegzuschlucken. »Wer sind Sie?«
    »Entschuldigen Sie, mein Name ist Michele. Ich bin ein Freund Ihrer Mutter.«
    »Ein Freund?« Sie wiederholte nur, was sie hörte, nicht imstande, den Sinn zu erfassen.
    »Ja.« Er lachte.
    »Aber meine Mutter hat doch keinen Freund in Italien.« Sie wusste nicht mehr weiter.
    Er half ihr. »Nun ja, das ist jetzt vielleicht eine etwas ungewöhnliche Situation für Sie. Für mich übrigens auch. Aber wissen Sie, Martha und ich haben uns vor einigen Tagen kennengelernt. Sie ist eine Freundin meiner Schwester und …«
    Linas Gedanken rasten davon. Keinen einzigen davon konnte sie noch aufhalten. Was tat ihre Mutter da? Wer war dieser Mann? Was sollte das alles? Sie wusch sich gerade die Haare … Verschwindet man einfach so ins Badezimmer und wäscht sich die Haare, wenn ein Bekannter zu Besuch kommt? Nein, Freund … Er hatte Freund gesagt. Was bedeutete das? Mama hatte keinen Freund. Sie hatte Krebs, und sie war vor diesem Krebs davongelaufen. Kopflos davongelaufen. Hatte sich noch nicht mal mehr von ihren Geburtstagsgästen verabschiedet, sondern war einfach weggefahren. Hatte sie, Lina, allein gelassen, um irgendwo in Italien … ja, was eigentlich?
    »Hallo? Sind Sie noch dran?«
    »Ja«, beeilte sie sich zu sagen. »Ja, ich bin noch da. Entschuldigen Sie, das ist alles etwas …«
    »Eigenartig?«
    Sie nickte.
    Er lachte wieder. Diesmal klang sein Lachen, als ob er ihre Verwirrung sehen könnte. Es klang nett. »Ich sage Martha, dass sie zurückrufen soll, einverstanden?«
    »Okay.« Sie legte auf, ohne sich zu verabschieden.
    Eine Zeitlang

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