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Das unendliche Blau

Das unendliche Blau

Titel: Das unendliche Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Hohberg
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überlegt. »Nein, eigentlich nicht«, sagt sie schließlich. »Meist hat er sich nach mir gerichtet, bis er … Ach, lassen wir das. Erzähl mir lieber, was sich hinter dieser Emma hier verbirgt.«
    Er sieht auf die große Tafel über dem Verkaufstresen. »Ricotta, Sahne, karamellisierte Feigen, Traubenmost.«
    »Klingt großartig.«
    Michele bestellt zwei Portionen. Das Eis wird nicht zu Kugeln geformt, sondern mit großen Schabern in die Waffeln gestrichen.
    Martha probiert. »Mein Gott, ist das gut«, sagt sie und leckt etwas schneller.
    Er sieht ihr zu, während er das Wechselgeld in die Hosentasche steckt. »Du hast gerade einen ähnlichen Gesichtsausdruck wie die Kleine da draußen.« Er lacht. »Die mit der Schokolade.«
    »Willst du damit sagen, dass ich mich hier selig bekleckere?« Sie wischt sich über den Mund.
    »Ich will damit sagen, dass du glücklich aussiehst.«
    »Na ja«, ihre Zungenspitze fährt den Rand der Waffel ab, »damit könntest du recht haben. Aber das liegt nicht nur am Eis.«
    »Ich weiß.«
    Sätze wie Luftballons. Leicht, schwerelos, gefüllt mit nichts anderem als der Zuversicht, dass alles gut ist, wie es ist. Dass man genau richtig ist in diesem Moment.
    Sie bleibt vor einem weißen Plastikhocker stehen, auf dem das Modell einer Hochzeitstorte thront. In drei Stufen, über unzählige, aus einer Spritztüte feinsäuberlich gesetzte Rosetten, geht es nach oben, dorthin, wo das Brautpaar sich in einer Tüllblüte in den Armen hält.
    »Süß, nicht?« Michele stellt sich neben Martha.
    »Erinnert mich an unsere Torte damals«, erwidert sie. »Sie war etwas kleiner als die hier, mit irrsinnig viel Zucker drin und einer dicken Schicht Marzipan drauf. Das Pärchen war aus Plastik, und ich hab’s viele Jahre aufgehoben, bis es irgendwann verschwand.« Und plötzlich muss sie an den Brautstrauß denken. Ihren Brautstrauß. Kürzlich, als sie im Keller nach einer Glühbirne suchte, fiel ihr der Strauß in die Hand. Spinnweben hingen an dem Seidenpapier, in das sie ihn vor über zwanzig Jahren gewickelt hatte, bevor sie mit Hans nach Griechenland in die Flitterwochen gefahren war. Sie sah hinein, sah die ehemals weißen Rosen, deren Blätter braun geworden waren und bei der kleinsten Berührung knisterten, sah das grüne Satinband, mit dem die Stiele umwickelt waren, sah den dünnen Kranz aus Zweigen, an denen mal Efeu gehangen hatte. Sie stand lange dort im Keller. Sie überlegte sogar kurz, den Strauß einfach mit nach oben zu nehmen und in die Tonne mit Bioabfällen vor dem Haus zu werfen. Dann legte sie ihn vorsichtig wieder zurück ins Regal. Nur die Glühbirne nahm sie mit.
    »War’s eine schöne Hochzeit?«, fragt Michele.
    Sie nickt. »Ja. Damals war ich … auch glücklich.« Sie versieht das »auch« mit leichtem Nachdruck. Dann beißt sie in ihre Waffel. Sie hat noch ein paar Krümel im Mund, als sie Michele einen Kuss gibt. Ein paar Krümel, die nach
Emma
schmecken.
     
    Sie haben es nicht weit, bis sie in Marthas Appartement sind. Die Geschäfte lassen gerade ihre Läden herunter. Es beginnt die Zeit der Restaurants und Trattorien. Es riecht nach Essen in den Arkaden. Die Menschen machen Pause, setzen sich an die Tische, reden mit ihrem Gegenüber oder mit ihrem Telefonino.
    Als sie vor der Holztür mit dem Löwenkopf stehen, sucht Martha in ihrer Tasche nach dem Schlüssel. Sie tut sich schwer mit dem Aufsperren, das Schloss klemmt etwas.
    »Nicht leicht, hier reinzukommen«, sagt sie und stemmt sich gegen die Tür, die ächzend nachgibt.
    »Meint Giulia auch immer«, entgegnet Michele. »Die Wohnung ist günstig, aber dafür kümmert sich der Vermieter um nichts. Er lässt den Dingen seinen Lauf.«
    Sie antwortet nicht, sondern holt tief Luft, bevor sie langsam beginnt, die Treppen hochzusteigen. Sie ist erleichtert, dass es heute bessergeht. Die schwere Atemnot bleibt aus.
    Oben angekommen, räumen sie gemeinsam die Sachen in die Küche.
    »Hunger?«, fragt sie ihn.
    Er nickt.
    »Ich mach uns den Fisch, einverstanden?« Sie wartet seine Antwort gar nicht erst ab, sondern holt die Dorade, die sie gekauft haben, aus dem Einwickelpapier. »Gibt’s hier irgendwo eine Schere?«
    Er zieht drei Schubladen auf und reicht ihr schließlich ein etwas verbogenes Teil.
    Sie entfernt erst die Flossen, dann schneidet sie dem Fisch den Bauch auf und holt die Eingeweide heraus. Wie lange hat sie das nicht mehr gemacht? In den letzten Jahren hat es für sie und Lina nur Vorgefertigtes

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