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Das unendliche Blau

Das unendliche Blau

Titel: Das unendliche Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Hohberg
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Lange tut er das, denn sie braucht lange, um zu erzählen. Sie legt ihre Geschichte auf diesem Tisch aus, auf dem zwei Gläser stehen, in denen der Wein nun langsam warm wird, weil keiner von ihnen mehr trinkt und die Heizpilze darüber eifrig ihren Dienst tun. Sie spart auch die hässlichen Worte wie Tumor und Metastasen und Morphium nicht aus. Worte, die deplaziert wirken an diesem Ort, wo es laut ist und wo das Lachen von den Nebentischen den fast surrealen Monolog untermalt.
    »Nun weißt du alles«, sagt sie, als sie fertig ist.
    »Ich danke dir«, erwidert er.
    »Wofür?«
    »Für dein Vertrauen.«
    Er stößt sein Glas an ihres, doch dieses Mal verzichtet er auf das
»Salute«.
    Sie lächelt und macht ihn darauf aufmerksam, und plötzlich müssen beide laut lachen.
    »Das ist es, was ich glaube«, erklärt Martha schließlich. »Man verliert seine Unschuld, wenn man um die Endlichkeit weiß.«
    »Und deshalb zögerst du, Michele davon zu erzählen?«
    »Genau. Wir würden unsere Liebe durch einen Filter sehen.«
    »Weißt du, was mir gerade dazu einfällt?«
    »Du wirst es mir gleich verraten.«
    »Vielleicht ist es das, was manchen Paaren fehlt.«
    »Du meinst eine tödliche Krankheit?« Sie kann ihr Erstaunen nicht verbergen.
    »Nein, nein, das meine ich nicht. Es ist nur dieser Abschied, der da am Horizont auftaucht und der den Blick auf das Wesentliche freigibt. Die Dinge, mit denen sich Mann und Frau oft das Miteinander schwermachen, spielen auf einmal keine Rolle mehr. Sie werden auf das reduziert, was sie sind –
fucking side notes.
« Er nimmt einen großen Schluck von dem warmen Wein. »Vielleicht solltest du mit ihm reden, Martha.«
    »Hat Francesca auch gemeint. Sie sagte was von Fairness.«
    »Ach, komm, vergiss die Fairness. Das mag für Wettkämpfe gelten, aber darum geht’s hier nicht. Es geht darum, dass ihr zwei euch holt, was euch zusteht. Ohne diese ganzen verdammten Kompromisse. Ohne Umwege und Befindlichkeiten. Du und er – das ist es, was zählt. Worauf wartest du? Warum sitzt du eigentlich noch hier mit einem alten Mann, der ein bisschen zu viel Wein getrunken hat?«
    Sie lacht. »Verstehe. Ich hab nur …« Ihr Lachen fliegt fort, während sie nach den richtigen Worten sucht.
    »Was hast du?«
    »Ich hab gedacht, es würde uns belasten, wenn ich ihm alles sage. Es würde dem, was wir haben, die Leichtigkeit nehmen.«
    »Soll ich dir jetzt mit Milan Kundera kommen?«
    »Okay. Die Leichtigkeit des Seins ist manchmal unerträglich. Literatur ist doch sonst eher Catherines Spezialgebiet.«
    »In einer über fünfzigjährigen Ehe färben gewisse Dinge auf den anderen ab.«
    »Trotzdem seid ihr zwei ziemlich eigenständige Menschen.«
    »Na ja, wir hatten lang genug Zeit, daran zu arbeiten.«
    »War’s nicht immer so?«, hakt sie nach. Sie ist fast froh, das Thema in eine andere Richtung zu lenken.
    »Ich muss aufpassen. Du hast wieder diesen Reporterinnen-Blick.«
    »Was willst du damit sagen?«
    »Das hab ich im Unterricht schon bemerkt. Wenn du so schaust, beginnst du, interessante Fragen zu stellen.«
    »Also? Wie war das mit dir und Catherine?«
    Er lehnt sich zurück, und die Lehne des Plexiglasstuhls gibt dabei ein wenig nach. »Wir haben uns mit zwanzig kennengelernt, an der Uni. Die ersten Jahre hingen wir aneinander wie die Kletten, dann kamen die Kinder, drei, wie du weißt, in ziemlich rascher Folge. Und die Probleme, die kamen auch. Die üblichen – Nähe, Abstand, Erwartungen, Bedürfnisse, und das alles asynchron, wenn du verstehst. Sie wollte Familie, ich wollte mich ausprobieren. Na ja, das tat ich auch, recht intensiv sogar. Und sie? Machte dicht. Totale Abkapselung, ich kam nicht mehr an sie ran. Irgendwann entdeckte sie das freie Spiel da draußen; zu dem Zeitpunkt suchte ich bereits
my sweet home.
Also wieder mal Fehlanzeige. Wieder mal knapp aneinander vorbeigeschrammt.«
    »Trotzdem seid ihr zusammengeblieben?«
    »Wir haben von Scheidung gesprochen. Mehr als einmal. Aber erst waren die Kinder zu klein, und irgendwann waren wir zu groß. Wir waren eine zu weite Wegstrecke zusammen gegangen, um bye-bye zu sagen. Außerdem entdeckten wir in einem seltenen Moment der Eintracht, dass wir uns immer noch lieben. Da lagen bereits sechsundzwanzig gemeinsame Jahre hinter uns. Von da an ging’s bergauf. Als die Kinder aus dem Haus waren, zogen wir in ein kleineres. Darin bekam jeder seinen eigenen Trakt. Na ja, eigenes Schlafzimmer, eigenes Bad. Küche und Wohnraum

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