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Das unendliche Blau

Das unendliche Blau

Titel: Das unendliche Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Hohberg
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festgeknüpft sind, hat irgendwann mal jemand blau und gelb angemalt. Nun blättert die Farbe ab.
    Ein paar Klettergerüste stehen im Sand neben Plastikrutschen und einer Schaukel, die leise quietscht. Die Mütter und Väter, die hier im Sommer ihrem Nachwuchs beim Turnen zusahen und in die Hände klatschten, wenn Sohn oder Tochter sich zum ersten Mal allein auf die große Rutsche traute, sie alle sitzen jetzt wieder in ihren Büros in Mailand oder Rom oder Florenz, während die Streifen, die Bikini oder Badehose auf ihren Körpern hinterlassen haben, langsam verblassen. Verblassen wie die Erinnerung an Tage, an denen die Hitze sich mattschwer auf alles legte. An Nächte, in denen die wummernden Bässe aus den Diskotheken dem Zikadengezirpe aus den Tellerpinien nicht den Hauch einer Chance ließen. Auch die Discjockeys sind heimgefahren, und sie haben die Rettungsschwimmer gleich mitgenommen. Die Buden am Strand haben ihre Bretterverschläge mit dicken Vorhängeschlössern versehen; ein paar Tafeln hängen noch draußen, auf denen die Preise für Sandwiches, Pommes und Bier stehen, daneben die Schaubilder diverser bunter Eissorten, die Jahr für Jahr teurer werden.
     
    Martha und Michele sind am frühen Nachmittag angekommen, und die Frau an der Rezeption des kleinen Hotels hat ihnen ein Zimmer mit Meerblick gegeben. Sie tat, als sei das besonders nett, aber das volle Schlüsselbord zeigte, dass derzeit keine anderen Gäste hier wohnten.
    Sie zwinkerten sich zu, als sie die enge Treppe hoch in den zweiten Stock stiegen.
    Das Zimmer war geräumig und nur mit dem Nötigsten eingerichtet. Holzboden, breites Bett, hellgrüne Tagesdecke, Schrank, Schreibtisch, Stuhl, zwei rote Plüschsessel. An der Wand ein Ölbild, auf dem ein paar Segelboote eine Regatta versuchen, daneben ein Abreißkalender, der den 25 . August anzeigt.
    Sie packten schnell ihre Tasche aus und hängten die Sachen, die sie mitgenommen hatten, in den Schrank. Sie hängten sie übereinander, weil nur zwei Drahtbügel da waren. Die anderen Bügel haben die Urlauber mitgenommen. »Ein Wunder, dass der Schrank noch da ist«, bemerkte Michele.
    Im Badezimmer stellten sie Micheles Aftershave neben Marthas Parfum, legten seinen Rasierer neben ihre Wimperntusche; den Zahnputzbecher teilten sie sich.
    Michele öffnete das Fenster, dessen Hebel etwas quietschte. Er stieß die hölzernen Fensterläden auf, und binnen Sekunden flutete die Sonne den Raum.
    Martha trat hinter ihn und legte ihre Hände auf seinen Bauch. Ihre Wange berührte seine, und für Minuten standen sie einfach nur so da und sahen hinaus aufs Meer, das ihre Blicke in die Unendlichkeit mitnahm.
    »Da hört nichts auf«, sagte Martha. Sie sagte es leise, und sie sagte es mehr zu sich als zu ihm.
    Er hatte es trotzdem gehört. »Es gibt Dinge, die nie aufhören«, erwiderte er.
    »Dieses Blau da draußen vertraut sich den Wellen an, fließt über den Horizont hinaus, mitten in den Himmel hinein …«
    » … und dort gibt es keinen Anfang und kein Ende.«
    »Gibt es das überhaupt? Anfang und Ende?«
    Er schmiegte seinen Rücken an ihren Bauch. »Nein«, sagte er dann. »Nur die Unendlichkeit ist wirklich.«
    Marthas Finger fuhren unter den Stoff seiner Jeans, umkreisten seinen kleinen Bauchnabel und begaben sich schließlich abwärts. Tasteten sich unter Knopf und Reißverschluss hindurch, um dann auch den Slip zu unterwandern.
    Er gab nur einen kleinen Laut von sich, kaum hörbar, aber ihr genügte dieser Laut, um zu wissen, dass er wollte, was sie wollte. Und dass sie es sofort wollten.
    Es waren nur drei Schritte bis zum Bett. Sie nahmen sich nicht mal mehr Zeit, die hellgrüne Decke herunterzuziehen. Martha behielt ihr Kleid an, Michele sein Hemd. Sie sparten Sekunden und wollten gleichzeitig keine verlieren, weil diese Sekunden ihnen in genau diesem Moment als das Kostbarste erschienen, was es zwischen Himmel und Strand gab. Sie sagten sich, dass sie sich liebten. Sie sagten beide
»Ti amo«,
und sie sagten es wieder und wieder, verabreichten sich eine Überdosis davon, als gäbe es die zwei Worte morgen nicht mehr.
    Er holte sich erst ihren Orgasmus und sie sich kurz darauf seinen. Sie tauschten ihre Lust, um schließlich erschöpft, aber mit einem Gefühl von Leere und Fülle zugleich langsam in das karge Hotelzimmer zurückzufinden.
    Sie lächelten sich an. Es war ein Lächeln, in das sich Erstaunen schlich. Erstaunen darüber, wie einfach alles sein konnte, wenn man nichts mehr

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