Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das unendliche Blau

Das unendliche Blau

Titel: Das unendliche Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Hohberg
Vom Netzwerk:
haben wir gemeinsam. Wir mussten gar nicht beschließen, wesentliche Dinge zusammen zu tun und andere getrennt. Wir taten es einfach. Sie ging wieder an die Uni, hatte ihre Freunde und unternahm Reisen. Ich machte meine Praxis auf, traf mich mit meinen alten Kollegen und schrieb ein paar Bücher. Wir ließen den anderen sein, wie er ist, und freuten uns, dass ein paar Gemeinsamkeiten geblieben sind.«
    »Geht das nach so langer Zeit?«
    »Und ob. Irgendwann kapierst du, dass es sowieso keinen Sinn macht, einen Menschen ändern zu wollen. Und dass er sich viel mehr entfaltet, wenn du ihn lässt. Und diese Erkenntnis bringt dich der Freiheit ein Stück näher.«
    »Das heißt, man kann auch zusammen frei sein.«
    »Klar. Die Paare, die bei mir auf der Couch sitzen, stehen noch am Anfang ihrer Karriere. Die drücken mit Gottvertrauen die Abhängigkeitsknöpfe und wundern sich, wenn irgendwann die Sauerstoffmasken runterfallen, weil Druckverlust in der Kabine herrscht.«
    Martha grinst und spürt, wie die Schwere des Tages von ihr weicht. »Ich liebe deine Vergleiche, Robert.«
    Er lächelt schief zurück. »Berufskrankheit. Aber Sie haben mich zum Interview gebeten, Frau Reporterin.«
    Sie trinkt den letzten Schluck Wein und winkt den Kellner heran, der kurz darauf mit der Rechnung kommt.
    »Darf ich dich einladen, my dear?« Robert holt sein Portemonnaie heraus, ohne eine Antwort abzuwarten.
    Er nimmt Martha in den Arm, als sie aufstehen und durch die mächtigen Arkaden zurück zur Piazza Maggiore schlendern. Das Stimmengewirr der Leute, die hier sitzen und stehen, trinken und Musik hören, ist ohrenbetäubend. Ein großer Flachbildschirm hängt von der Decke und überträgt ein Fußballspiel.
    Robert stößt Martha in die Seite. »That’s life.«
    Sie nickt. »Man kann sich dran gewöhnen.«
    »Bei uns zu Hause ist es um diese Zeit total still auf den Straßen. Alle sitzen in ihren Häusern, bis auf ein paar Unverbesserliche mit Jogginganzug und Pulsarmbanduhr, die mit ihrem Hund ein paar Runden drehen.«
    »Ist bei uns ähnlich.«
    »Dabei ist der Sommer vorbei.« Er schlägt den Kragen seiner Jacke hoch, als sie auf den großen, jetzt fast menschenleeren Platz treten.
    »Ich begleite dich noch ein Stück«, beschließt sie.
    »Aber das ist nicht deine Richtung«, erwidert er.
    »Macht nichts. Ich muss mir ein bisschen die Beine vertreten. Außerdem mag ich diese Stadt bei Nacht.«
     
    An einer Bushaltestelle in der Nähe der Universität bleiben sie stehen. Und während Robert den Fahrplan entziffert, nähern sich ihnen drei junge Leute mit weiß geschminkten Gesichtern und Engelsflügeln. Sie stellen sich als Mitglieder einer Theatergruppe vor und verteilen Handzettel, auf denen zu einer Vorstellung am nächsten Abend in einem alten, stillgelegten Fabrikgelände geladen wird. Robert nimmt einen der Zettel, verbeugt sich und schüttelt den dreien zum Abschied die Hand. »Have a good flight home.«
    Einer der Engel lacht. »Okay, we will knockin’ on heaven’s door.«
    Dann verschwinden die Flügelwesen durch die Arkaden in einer der Nebenstraßen. Der herbstliche Dunst, der sich über die Stadt gelegt hat, umfließt sie wie verdünnte Milch. Dann sieht man sie nicht mehr, aber man hört sie noch. Sie lachen.

[home]
    15
    D as Meer liegt still. Eine fast glatte Oberfläche. Hier und da zeigt sich ein Kräuseln, das sich sofort wieder legt, als wären selbst die Wellen zu träge an diesem ungewöhnlich schwülen Spätnachmittag im Oktober. Die Sonne bietet noch mal alles auf, aber sie hat an Höhe verloren, senkt sich bereits den Wintermonaten entgegen. Sie wirft ihre Strahlen aufs Wasser, hinterlässt dort ein quecksilbriges Glitzern. Weit hinten fährt ein Frachtschiff vorbei. Einer dieser Riesenpötte, die zwischen den Kontinenten unterwegs sind. Aus der Entfernung scheint er wie ein Spielzeug, das jemand an der Horizontlinie ausgesetzt hat.
    Der Strand ist breit. Weißer Sand, so weit der Blick reicht. Und er reicht weit. Keine Sonnenschirme, keine Liegestühle, keine Ballspieler. Die Familien mit ihren Kühlboxen und Gummitieren und Luftmatratzen haben das Revier geräumt. Das Kreischen der Kinder ist dem der Möwen gewichen. Es sind dicke, fette Möwen mit gelben Schnäbeln, die ihre Pirouetten am Himmel drehen, immer bereit für den Sturzflug hinunter ins Wasser.
    Mit den Netzen, über die im Hochsommer unzählige Volleybälle geschlagen werden, spielt jetzt der Wind. Die Holzpfähle, an denen sie

Weitere Kostenlose Bücher