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Das unendliche Blau

Das unendliche Blau

Titel: Das unendliche Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Hohberg
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ich meine Tochter da abgeben. Und sie hat das gespürt. Sie war noch so klein, aber sie hat genau gecheckt, was Sache war. Ich hab Lina benutzt für meinen verdammten Beziehungskrieg. Mein Gott, ich hab so viel falsch gemacht.«
    Er legt den Arm um sie. »Hast du ihr das jemals gesagt?«
    Sie schüttelt den Kopf. »Ich beginne erst jetzt zu reden, Michele. Ich meine, wirklich zu reden. Ich beginne überhaupt erst, mir ein paar unbequeme Fragen zu stellen.«
    »Nun komm, das klingt schon wieder so mühsam. Sei nicht zu streng mit dir. Wir sind Menschen, Martha, und wir machen Fehler. Das ist kein Drama.«
    Sie bleibt stehen und legt den Kopf an seine Schulter. »Du tust mir gut, Michele. Bei dir kann ich einfach sein.«
    Er gibt ihr einen Kuss auf den Haaransatz. »Ist schön, dass du das sagst.«
    »Du hast vorhin gemeint, man spürt, wenn man auf der falschen Spur unterwegs ist.«
    »Ja?«
    »Das ist nicht ganz so. Ich bin ziemlich lang auf der Kriechspur dahingerollt. Bis mich das Schicksal auf die Nebenspur gesetzt und mir gezeigt hat, wo das Gaspedal ist.«
    »Ich würde eher sagen, das warst du selbst. Wenn wir in uns hineinhorchen, nehmen wir Kontakt mit uns auf. Mir passiert das oft beim Meditieren, und dabei merke ich dann auch, dass die Dinge passieren, wie sie passieren, ohne mein Zutun. Und ich kann ihnen zugucken, was sie so treiben – wie spielenden Kindern.«
    »Und was ist mit Fehlentscheidungen?«
    »Gibt es nicht. Alles hat seinen Sinn. Manches braucht eben etwas länger als anderes.«
    »Du klingst fast schon wie einer deiner Gurus, so abgeklärt.«
    Er lacht. »Beleidige meine Gurus nicht. Die sind vielleicht klar, aber nicht abgeklärt. Nein, Martha, es geht um Hellsichtigkeit und um Akzeptanz. Darum, sich nicht ständig in Frage zu stellen. Und ich weiß, wovon ich rede.«
    Sie zieht die Augenbrauen hoch.
    »Mein Gott, was hatte ich schon für Zweifel und Zusammenbrüche«, erklärt er. »Diese ganzen Frauengeschichten, ein Desaster, wenn man’s genau nimmt.«
    »Und trotzdem glaubst du noch an die Liebe?«
    »Gerade deshalb. Das kann’s doch nicht ernsthaft schon gewesen sein, oder. Und …«, er pustet ihr eine Haarsträhne aus der Stirn, »… weil ich so einen Engel wie dich gefunden habe.«
    »Das hat noch kein Mann zu mir gesagt.«
    »Es hat dich auch noch kein Mann so geliebt wie ich.«
    Martha muss plötzlich an die drei Engel denken, die Robert und sie vor einer Woche an der Bushaltestelle in Bologna getroffen haben. Sie erzählt Michele von der Begegnung.
    Er hört aufmerksam zu. »Die Szene könnte von Fellini sein«, meint er, als sie fertig ist. »Diese bizarren Gestalten, die durch seine Filme geistern. Der Typ war nicht nur ein Meister des Kinos, sondern auch ein Meister des Castings.«
    »Ich hab schon lange keinen Film mehr von ihm gesehen. Früher war ich oft im Kino, aber inzwischen …«
    »Er kommt von hier, weißt du das?«
    »Woher?«
    »Aus Rimini. Er hat dort gelebt, und einige seiner Filme spielen in dieser Gegend. Auch am Strand. Denk nur an
Amarcord.
Der läuft zurzeit wieder in einem kleinen Programmkino dort, hab ich gelesen.«
    »Ich hab mich immer gefragt, was dieser Titel bedeutet.«
    »Im Dialekt der Emilia-Romagna heißt das ›Ich erinnere mich‹. Wenn du Lust hast, fahren wir heute Abend nach Rimini und gehen ins Kino. Es ist die Spätvorstellung um zehn.«
    Sie strahlt ihn an. »O ja, ich hab Riesenlust.«
    »Okay. Und du wirst sehen, Rimini ist ein hübscher Ort.«
    »Irgendwie hab ich dabei immer an Campingplätze, Bettenburgen und Massenurlauber gedacht.«
    »Stimmt ja auch, im Sommer. Aber jetzt zur Nachsaison ist alles anders. Da kommen die Einheimischen wieder raus und treffen sich auf der Piazza. Und die alten Villen und das Grandhotel und die Alleen, die fast bis hinunter ans Wasser führen, versetzen einen in eine Zeit, als Urlaub noch Sommerfrische hieß. Du siehst es ja hier schon – die Karawane ist in die Städte gezogen und hinterlässt uns das Strandgut.«
    »Schöne Worte sind das, Sommerfrische und Strandgut. Und Nachsaison …« Sie kickt mit dem Fuß einen kleinen roten Plastikball mit gelben Sternen weg, den ein Kind im Sand vergessen hat. Die Sterne sind verblasst, und dem Ball ist die Luft ausgegangen. Wie ihrem alten Schlauchboot, weit weg, zu Hause in der Garage, das in diesem Moment kurz durch ihre Gedanken gleitet.
    »Ja«, entgegnet Michele, »einer meiner Romanversuche trägt den Arbeitstitel
Nachsaison.
«
    »Wieder nur

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