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Das unendliche Blau

Das unendliche Blau

Titel: Das unendliche Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Hohberg
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Schraubverschluss aus einem Regal über dem Herd, lässt Wasser hineinlaufen und gibt ein paar Löffel gemahlenen Kaffee in den Einsatz. Dann dreht sie die Maschine fest zu und sieht sich nach Streichhölzern um.
    Der Gasherd gibt ein Fauchen von sich.
    »Milch?«
    Lina schüttelt den Kopf.
    Als sie kurz darauf am Tisch sitzen, zündet sich Martha eine Zigarette an. Zu Hause hat sie immer nur auf der Terrasse im Garten geraucht.
    »Und, wie gefällt dir die Wohnung?«, fragt sie, während sie den Rauch langsam über ihre Kaffeetasse bläst.
    Lina sieht sich um. »Ganz gut«, erwidert sie. Und plötzlich kommen die Tränen. Sie lassen sich nicht mehr hinunterschlucken wie eben im Auto noch. Es ist ein ungebremstes Weinen, das bald in lautes Schluchzen übergeht.
    Martha sagt nichts. Sie steht nur irgendwann auf und reißt zwei Lagen von einer Küchenrolle herunter, die sie ihrer Tochter über den Tisch hinweg reicht.
    Lina greift danach und schneuzt kräftig hinein. Sie knüllt das Papier in ihrer Hand zusammen und sieht auf. Sieht ihre Mutter, deren Augen nun nicht mehr strahlen.
    »Ich …« Linas Blick verlässt Marthas Augen und irrt suchend in der Küche umher, um sich schließlich hinauszuflüchten auf die Terrasse. » … ich verstehe das nicht.«
    »Was verstehst du nicht?«
    »Das alles hier. Diese Stadt, diese Wohnung, diese Schule … Warum bist du nicht zu Hause, in deinem Haus, bei mir, bei deinen Freunden?«
    »Ich habe hier neue Freunde gefunden, Lina.«
    »Sind dir die alten nicht mehr gut genug?«
    »Doch, sie bedeuten mir immer noch sehr viel. Mit einigen maile und telefoniere ich sogar. Aber sie können mir nicht das geben, was ich im Moment am meisten brauche.«
    »Und was ist das?«
    »Lebendigkeit. Lust, mich auszuprobieren. Das zu tun, was ich immer schon tun wollte. Ein bisschen verrückt sein. Jede Sekunde auskosten. Ich hab das ganz deutlich an meinem Geburtstag gemerkt. Die Freunde waren da, aber sie waren nicht wirklich da. Sie taten nur so als ob.«
    »Du hast ihnen ja auch keine Chance gegeben. Du bist einfach abgehauen.«
    »Abgehauen?« Martha nimmt einen letzten Zug aus ihrer Zigarette und drückt sie dann aus. »Ist ein starkes Wort.«
    »Hast du ein besseres?«
    »Okay, es mag von außen aussehen, als ob ich abgehauen wäre, aber so war es nicht.«
    »Wie war es dann?«
    »Mir ist an diesem Abend damals plötzlich überdeutlich geworden, dass sich alle eingerichtet haben. Als hätten sie sich einen Platz im Leben gesucht und seien festgewachsen.«
    »Ist das verkehrt? Ich meine, wenn man weiß, wo man hingehört?«
    »Nein, natürlich nicht. Aber wenn man unbeweglich wird, sich nichts mehr zutraut, gar nicht erst etwas versucht, weil man von vornherein nur das Scheitern sieht – das führt zu solchen Sätzen wie …«
    »Ach, du spielst wieder auf die blöde Carpe-diem-Sache an?«, unterbricht Lina sie.
    »Diese Carpe-diem-Sache, wie du sie nennst, ist eines der wichtigsten Dinge überhaupt.«
    »Und das wird dir jetzt klar?«
    Martha steht auf, wendet sich dem Herd zu und nimmt die Espressomaschine in die Hand. »Magst du auch noch einen?«, fragt sie über die Schulter.
    »Ja. Aber nicht so stark, bitte.«
    »Wir sind in Italien.«
    »Ich mag Filterkaffee lieber.«
    Martha seufzt. »Gibt’s hier nicht. Ist außerdem weniger gesund.«
    Lina betrachtet ihre Mutter. Schlanke Beine, langer Rücken, schmale Schultern, dunkelblondes dichtes Haar. Sie trägt ein rostbraunes Kleid, das Knie zeigt, dazu schwarze Leggings und flache schwarze Schuhe. Es ist ein neues Kleid, eines, das Lina noch nicht kennt.
    »Du siehst gut aus, Mama«, sagt sie so leise, dass man es kaum hört.
    Martha dreht sich um und schenkt beiden Kaffee nach. »Danke, Lina. Ich fühle mich auch gut.«
    »Du hast abgenommen.«
    »Na ja, das war eher unfreiwillig. Diese Metastasen leisten ganze Arbeit.«
    »Hast du Schmerzen?«
    »Ja, aber sie sind auszuhalten. Mein Arzt versorgt mich mit ziemlich starken Tabletten. Was mir zu schaffen macht, ist diese verdammte Luftnot. Du hast es ja vorhin selbst gemerkt. Ich komme kaum noch die Treppen hier hoch.«
    »Hat der Arzt gesagt …?« Lina beißt sich auf die Lippen.
    »Du meinst, ob er irgendwelche Prognosen abgegeben hat? Nein, nicht direkt. Aber das muss er auch nicht. Ich spüre ja selbst, was los ist.«
    »Und?«
    »Das ist meine Abschiedsveranstaltung.«
    »Mama, sag das nicht.«
    »Doch, Lina. Ich muss das genau so sagen, weil es die Wahrheit ist. Ich freue

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