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Das unendliche Blau

Das unendliche Blau

Titel: Das unendliche Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Hohberg
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vergleichsweise gutgeht. Wenn ich auf die Ärzte gehört hätte, bekäme ich jetzt Chemo und hätte keine Haare mehr. Und an so was wie Yoga wäre wahrscheinlich nicht zu denken.«
    »Aber hätte man mit Chemo nicht doch noch irgendwas retten können? Es gibt doch immer wieder Leute, die geheilt werden.«
    Martha schüttelt den Kopf. »Nein. Meine Ärztin hat’s mir ziemlich deutlich gesagt. Und das Internet sagt dasselbe. Bei meinem Befund kann man mit solchen Therapien allenfalls noch ein bisschen Zeit herausschinden, aber das liegt im Nano-Bereich, und der Preis dafür ist hoch. Mir war er zu hoch.«
    »Und dabei warst du es, die mir stets eingetrichtert hat, dass es für jedes Problem eine Lösung gibt.«
    Martha stellt die leeren Kaffeetassen ineinander. »In gewisser Weise gilt das sogar jetzt. Meine Lösung ist meine freie Wahl.«
    »Bereust du es, diesen Michele nicht schon früher getroffen zu haben?«
    Martha lässt die Tassen los. »Ja«, sagt sie, und ein Schatten legt sich auf ihr Gesicht.
    »Weiß er es?«
    »Nein.«
    »Warum nicht?«
    »Glaub mir, Lina, es ist besser so. Für ihn und für mich. Er wird es noch früh genug erfahren.«
    Jetzt nimmt Martha die Tassen, steht auf und stellt sie ins Waschbecken. Sie gibt etwas Spülmittel hinein, lässt Wasser darauflaufen. Das hat sie immer so getan. Und Lina muss in diesem Augenblick daran denken, dass sie es genauso macht, das mit den Tassen.

[home]
    17
    S ie hat sich ein Eis geholt – Emma. Das ist ihre Lieblingssorte geworden. Jedes Mal, wenn sie an der
Sorbetteria
in der Via Castiglione vorbeikommt, kauft sie sich eine Portion Emma. Allein der Name hat für sie etwas Tröstliches. Weil er so rund klingt. So einfach. So gut. Er klingt, wie sich Martha immer ihr Leben gewünscht hat. Ein Leben, wie es jetzt ist. Zumindest tut es so. In Wahrheit leitet es bereits den Rückzug ein. Aber bis es so weit ist, gibt dieses Leben noch mal Zugaben. Ein Finale mit allen Schikanen.
    Manchmal setzt Martha sich mit Emma auf die grüne Bank vor dem Laden. Manchmal isst sie das Eis auch, während sie durch die Straßen schlendert. Seit ein paar Wochen läuft sie nicht mehr. Ihr Körper hat auf Entschleunigung geschaltet. Sie weiß, dass die Vollbremsung unmittelbar bevorsteht. So was spürt man. Als Michele sie vor einigen Tagen fragte, ob sie mit ihm den Arkaden-Gang hinauf zur alten Kapelle von San Luca laufen wolle, wusste sie, dass sie das nicht mehr schaffen würde. Vier Kilometer Stufen. Unmöglich. Sie wiegelte ab, fuhr Ausreden auf. Aber der Blick in den Apennin sei phantastisch, hielt Michele dagegen. Sie bemerkte seine Enttäuschung, als sie nicht nachgab. Und in dem Moment verfluchte sie diesen Krebs, der unbarmherzig die letzten Sandkörner durch die Sanduhr presste. Wie gern hätte sie den Mechanismus einfach auf den Kopf gestellt. Ein neues Spiel begonnen. Eines mit unendlich vielen Sandkörnern.
    Als sie sich jetzt Emma auf der Zunge zergehen lässt, nimmt sie den Weg über ein paar Seitengassen. In ihrer Tasche die neuen Tabletten. Noch stärkere, mit noch stärkeren Nebenwirkungen. Ihr Arzt hatte zur Vorsicht geraten, und gleichzeitig hatte er ihr ein Rezept für zwei große Packungen ausgestellt. Da war etwas in seinem Blick, als er sich von ihr verabschiedete. Er ließ Martha lesen in diesem Blick. Das Wichtigste stand zwischen den Zeilen. Sie nahm es mit und verschloss es in sich.
    Die Frau in der
Farmacia
mahnt sie ebenfalls zur Achtsamkeit, als sie ihr die grün-weißen Schachteln mit den Tabletten aushändigt. Auf keinen Fall mehr als eine täglich.
    Martha lächelt, als sie zahlt. Ja, ja, das wisse sie. Sie sagt es auf Italienisch, und dann wünscht sie der Frau noch einen guten Tag. Das Läuten der Ladenglocke entlässt sie auf die Straße.
    Die Arkaden begleiten auch diesmal ihren Gang durch die Stadt. In der Zwischenzeit kann sie sich Straßen ohne Arkaden kaum mehr vorstellen. Schutz und Raum zugleich. Schutzraum.
    Vor einem Schaufenster bleibt sie stehen. Ein Trödelladen, in dem neben altem Spielzeug eine Menge skurriler Dinge verkauft werden. Ein Vogelkäfig steht dort, ein Käfig in Gestalt einer Kathedrale. Mit Säulen und Kuppeln und einem großartigen Kirchenschiff, das viel Platz bietet für potenzielles Federvolk. Die Gitterstäbe sind mattweiß lackiert, an einigen Stellen schimmert etwas Gold durch. Das Portal steht weit offen, doch das täuscht nicht darüber hinweg, dass ein feines Scharnier mit Sprungfeder das Türchen

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