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Das unendliche Blau

Das unendliche Blau

Titel: Das unendliche Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Hohberg
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blitzschnell zuschnappen lassen kann.
    Ein Käfig ist eben ein Käfig, denkt Martha. Selbst eine Voliere begrenzt das Dasein, lässt den freien Flug nicht zu.
    In diesem Moment fallen ihr wieder die Schuhkartons ein, aus denen sie früher Häuser für ihre Puppen baute. Heute würde sie die Puppen auf eine blühende Wiese setzen. Doch heute ist sie auch kein kleines Mädchen mehr. Heute ist sie ein großes Mädchen, das keine Sommerwiese mehr sehen würde. Ein Schauer durchläuft sie, und sie zieht ihren Mantel etwas enger um sich.
    Über der Vogel-Kathedrale hat jemand Ballons aufgehängt. Kleine Nachbildungen von Heißluftballons, die an dünnen Fäden von der Decke baumeln. Ihr Blau und Grün und Gelb zeigt Patina, und die Körbchen, die sie unter sich tragen und die sie bei jedem Windstoß durch die Lüfte schaukeln, laden Puppen zum großen Abenteuer ein. Einmal abheben. Einmal fliegen. Einmal alles von oben besehen. Aus der Vogelperspektive sozusagen.
    Martha drückt die Türklinke des Ladens, tritt ein und riecht augenblicklich den Staub von Jahrzehnten.
    Ein junger Mann in Turnschuhen, Jeans und weißem T-Shirt kommt aus einem Hinterzimmer, das durch einen roten Samtvorhang vom Verkaufsraum abgetrennt ist. Er grinst sie an. Es ist frech, dieses Grinsen, und es sagt ihr, dass man sich täuschen kann. Sie hatte mit einem gebückten Mütterchen gerechnet oder einem verschrobenen Alten, dem neben den Haaren auch ein paar Zähne ausgegangen sind. Nie hätte sie inmitten des ganzen Trödels einen Kerl wie diesen hier vermutet.
    »Ich hätte gern den da«, sagt sie und zeigt auf einen blassblauen Ballon.
    Er geht zum Schaufenster, klettert auf einen Schemel und holt den Ballon von der Decke.
    »Ein schönes Vehikel«, sagt er und pustet etwas Staub herunter. »Gut in Schuss. Gucken Sie mal, der Korb unten hat gar keine Löcher. Die Passagiere können also ganz entspannt aufsteigen.«
    Sie lacht. »Das nennt man Flugsicherheit.«
    »Und ganz ohne Durchleuchten des Gepäcks und Leibesvisitation und maschinenlesbare Personalausweise beim Check-in«, ergänzt er.
    »Kaum mehr vorstellbar.«
    »Mögen Sie Luftreisen?« Er geht zu einer alten Registrierkasse. So einer, an der man erst die Summe mit Messinghebeln einstellt und das Ganze dann mit einer energischen Drehung an der Kurbel rechts bestätigt. Die Schublade mit den Fächern für Banknoten und Münzgeld gleitet mit einem leisen Klingelton heraus.
    »Luftreisen ist ein hübsches Wort«, entgegnet sie. »So schön gestrig.«
    »Für Leute, die immer nur im Morgen unterwegs sind, vielleicht etwas ungewöhnlich.«
    »Das Morgen ist gar nicht meine Destination. Ich halte mich lieber im Heute auf.«
    »Gute Einstellung. Und? Wie ist das mit den Luftreisen?«
    »Ich verliere gern mal den Boden unter den Füßen, wenn Sie das meinen.«
    »Ja, ja«, nickt er, »die Thermik vollführt hin und wieder wahre Wunder. Sie gibt uns Auftrieb.« Er legt den Ballon vorsichtig neben der Kasse ab.
    »Wie viel bekommen Sie dafür?«, fragt sie und holt ihr Portemonnaie aus der Tasche.
    Er überlegt kurz. »Sind fünfundzwanzig Euro okay?«
    Das Spielzeug ist mehr wert, das weiß sie. Viel mehr wert.
    Sie nickt und reicht ihm das Geld. »Könnten Sie es mir als Geschenk einpacken?«
    Er legt die Scheine sorgfältig in die dafür vorgesehenen Fächer und schiebt die Lade der Kasse wieder zu. »Wir haben kein Geschenkpapier, aber … Moment mal …« Er greift hinter sich in ein Regal und zieht eine schwarz-weiß gestreifte Hutschachtel heraus. »Würde Ihnen so was gefallen?«
    »Die ist wunderschön.«
    »Ich habe sogar noch irgendwo Schleifen.« Jetzt holt er unter der Kasse eine Kiste hervor. »Schwarz, weiß oder rot?« Er hält ihr drei Satinbänder entgegen.
    Sie wählt Rot.
    »Sehr gut.« Der Ballon verschwindet in der Schachtel, und mit ein paar Griffen hat der Mann eine imposante Schleife darum gebunden. Er reicht Martha das Paket. »Und wer darf damit losfliegen?«
    »Es ist ein Geschenk für meinen Freund.«
    Jetzt lächelt er, und sie sieht an seinem Lächeln, wie jung er ist. Mitte zwanzig, schätzt sie. »Frauen, die solche Geschenke machen, sind ein Geschenk«, sagt er.
    »Danke«, erwidert sie leise und drückt die Hutschachtel an sich.
    »Wissen Sie, was das Tollste an Luftreisen ist?«, fragt er.
    »Sie werden es mir sicher gleich verraten.«
    »Man kann da oben über den Wolken wunderschöne Luftschlösser bauen.«
    »Die überirdische Dimension, oder?«
    »Ja, Sie

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