Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)
Krankenhaus. Von ihm lernte Mr. Peterson eine Reihe einfacher Übungen, die er täglich ausführen musste, um seinen wachsenden Problemen mit dem Gleichgewicht und der Beweglichkeit zu begegnen. Er ließ einen Treppenlift einbauen und Haltegriffe an den Wänden im Badezimmer und in den Fluren. Er bekam täglich »Essen auf Rädern«, und eine Frau aus Litauen namens Krystyn kam zweimal in der Woche zum Saubermachen. Zwischen dem Staubwischen und Putzen verbrachten sie viel Zeit mit Kaffeetrinken, wobei sie sich am liebsten über die Eigentümlichkeiten der Engländer unterhielten. Merkwürdigerweise war Mr. Petersons Leben jetzt, da er körperlich so eingeschränkt war, viel geselliger geworden, und das galt nicht nur für die Pflegekräfte und die Ärzte. Nachdem seine Krankheit kein Geheimnis mehr war, hatte sich eine kleine, aber engagierte Gruppe von Menschen zusammengefunden, die ihn regelmäßig besuchte. Mrs. Griffith brachte – so zuverlässig wie ein Uhrwerk – jeden dritten oder vierten Tag Kuchen und geschmorten Braten vorbei. Fiona Fitton und Sophie Haynes kamen abwechselnd mit Hörbüchern und CDs mit klassischer Musik, die sie in der Bibliothek für ihn bestellten. Und da mittlerweile ohnehin alle (fast) alles über Mr. Petersons Zustand wussten, musste auch er ihn nicht länger geheim halten. Er redete jetzt offen und ehrlich über seine Erkrankung. Wenn die Sprache auf seinen Selbstmordversuch und die Zeit im Krankenhaus kam, fasste er die Ereignisse stets so zusammen: »Ich habe gedacht, mein Leben sei nicht mehr lebenswert, aber es stellte sich heraus, dass ich mich geirrt habe.« Er meinte, er wolle den Leuten begreiflich machen, dass er durchaus vernünftige Gründe für seine Tat gehabt habe. Vielleicht war das ein Witz. Ich bin mir nicht sicher. Merkwürdigerweise fiel es ihm jetzt, da er sich mit dem nahen Tod abgefunden hatte, viel leichter, Witze zu machen.
Während für Mr. Peterson das Leben deutlich entspannter geworden war, hatte für mich der Tag viel zu wenige Stunden. Ich kämpfte nicht nur mit den täglichen Aufgaben, die ich für Mr. Peterson erledigte, sondern musste mich auch noch mit den Dingen auseinandersetzen, die ich erledigen wollte, bevor wir in die Schweiz fuhren.
Ganz oben auf der Liste stand »Deutsch lernen«. Mr. Peterson meinte zwar, das sei nicht nötig, weil alle in der Klinik (und vermutlich alle Menschen in der Schweiz) sehr gut Englisch sprachen, aber ich dachte mir, sicher ist sicher. Ein gewisses Sprachverständnis konnte nur von Vorteil sein. Immerhin mussten wir in der Lage sein, Straßen- und Hinweisschilder zu lesen, dann gab es Grenzkontrollen, Hotelpagen und so weiter. Meinem eigenen Seelenfrieden zuliebe wollte ich wenigstens so viel Deutsch können, um mich verständlich zu machen. Unglücklicherweise hatte ich mich in der Schule schon für Französisch und Spanisch entschieden, sowohl aus praktischen wie auch ästhetischen Gründen. Und so schob ich Deutsch in die Mittagspause.
Ich fragte Frau Kampischler, die Deutschlehrerin an der Asquith Academy, ob sie gewillt sei, ihre Mittagspause für meinen Deutschunterricht zu opfern. Das war sie nicht. Aber sie empfahl mir einen Online-Anfängerkurs und versprach, mir eine Auswahl Arbeitshefte und Lern-CDs zur Verfügung zu stellen, damit ich mich selbst unterrichten konnte.
Und so übte ich fünf einsame Stunden in der Woche, Frühstück zu bestellen, nach dem Weg zum Busbahnhof zu fragen und dem Mann an der Passkontrolle zu erklären, dass wir vier Tage bleiben würden. Im Deutschen gibt es drei verschiedene grammatikalische Geschlechter, die Verben neigen dazu, ans Ende des Satzes zu flüchten, und es gibt monströs lange, zusammengesetzte Wörter wie Geschwindigkeitsbegrenzung . Doch davon mal abgesehen, ist die deutsche Sprachstruktur der englischen ziemlich ähnlich, und obwohl Deutsch vom Klang her nicht unbedingt die schönste Sprache der Welt ist, ist es nicht besonders schwer auszusprechen – noch dazu, wenn man Gesprengte Ketten kennt, Jäger des Verlorenen Schatzes und 99 Luftballons . Das alles machte das Lernen leichter für mich, und nach etwas mehr als einem halben Jahr hatte ich das Gefühl, ganz gut zurechtzukommen.
Leider konnte ich den zweiten Punkt auf meiner Schweiz-Liste – das Bestehen der Führerscheinprüfung – nicht so einfach erledigen. Wenn ich alt genug gewesen wäre, hätte dieser Punkt ganz oben auf meiner Liste gestanden.
Ich weiß nicht, wann genau wir beschlossen,
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