Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)
Zeit verging. Vielleicht zwei Minuten, vielleicht auch fünf. Gelegentlich sah Mr. Peterson so aus, als wollte er etwas sagen, aber jedes Mal ließ er es bleiben. Ich musste nicht mehr weitersprechen. Je länger das Schweigen dauerte, desto unumstößlicher wurden meine Worte.
Schließlich wusste sich Mr. Peterson nicht mehr anders zu helfen: Er schickte mich weg und bat um Bedenkzeit. Aber ich wusste, dass die Entscheidung gefallen war. Ich sah Tränen in seinen Augen. Es war das erste und einzige Mal, dass ich ihn weinen sah.
Am nächsten Tag war es abgemacht. Mr. Peterson fragte mich, ob ich begriffen hätte, was genau ich ihm da anbot, und ich bestätigte ihm, dass ich das tat.
»Ich werde meine Meinung nicht ändern«, warnte er mich. »Irgendwann will ich, dass es zu Ende ist.«
»Ich weiß«, sagte ich. »Ich möchte nur, dass dieser Zeitpunkt so weit in der Zukunft liegt wie möglich.«
»Dir ist doch klar, dass ich mich dir auf Gedeih und Verderb ausliefere, nicht wahr?«
»Ganz so sehe ich das nicht.«
»Aber so solltest du es sehen. Denn genau so ist es. Ich kann mich nicht darauf einlassen, wenn du dir nicht ganz sicher bist.«
»Ich bin mir sicher.«
Von diesem Moment an gab es kein Zurück mehr. Unser Pakt war geschlossen.
19 Die Cannabis-Fabrik
Anfangs ähnelte die Situation einem Verkehrsunfall. Es war packend, aber gleichzeitig auch sehr verwirrend. Obwohl unleugbar etwas geschehen war – etwas Traumatisches und ziemlich Düsteres –, ließ sich die wahre Natur der Sache nur schwer greifen. Eine ganze Weile wusste niemand so recht, was schiefgegangen war – und auch nicht wann oder warum –, und man würde den Schaden erst gründlich begutachten müssen, ehe Beschlüsse gefasst und Schuld zugewiesen werden konnten.
Eine Reihe von Verbrechen war begangen worden – so viel stand fest; daran gab es nichts zu rütteln. Aber wenn es so war, wer war dann das Opfer und wer der Täter? Wie Sie sich denken können, war dies die Schlüsselfrage, die in den Wochen nach meiner »Verhaftung« in Dover die Medien beschäftigte, und die öffentliche Meinung durchlief etliche deutlich voneinander unterscheidbare Phasen.
Für die Reporter war zunächst Mr. Peterson der Buhmann. Diese Sichtweise bot sich aus einer ganzen Reihe von Gründen geradezu an: Erstens war er tot und daher nicht gut in der Lage, sich zu verteidigen. Zweitens hatte er keine Verwandten, die man hätte brüskieren können. Drittens war er Amerikaner gewesen. Viertens – und das wog am schwersten – war er der Erwachsene in diesem Spiel. Selbst jene, die ihm das Recht zusprachen, sein eigenes Leben zu beenden, wie und wann er wollte, empörten sich über den Umstand, dass es ihm irgendwie gelungen war, mich in die Sache mit hineinzuziehen.
Ich war minderjährig. Auf diese simple Tatsache lief alles hinaus. Und als Minderjährigem fehlte mir die moralische Kompetenz, um die Entscheidungen treffen zu können, die mir in den Polizeiprotokollen zur Last gelegt wurden. Ich glaube, zu jenem Zeitpunkt gab es nur einen oder zwei Journalisten, die darauf hinwiesen, dass mir diese moralische Kompetenz – wenn überhaupt – bloß noch wenige Monate fehlen würde. Aber diese Bemerkungen wurden schnell übertönt, denn ich war nicht nur minderjährig, sondern auch in einer extrem labilen Verfassung. Die Polizei beschrieb mich als »intelligenten, aber sehr naiven und möglicherweise gestörten jungen Mann«. Ich hatte keinen Vater, keine Freunde und eine Mutter mit einem fragwürdigen Ruf und ebenso fragwürdigen Kompetenzen in Sachen Erziehung. Und dann war da noch die Kleinigkeit mit meinem »Gehirnschaden«. Es konnte keinen Zweifel daran geben, dass mein ethisches Urteilsvermögen beeinträchtigt war. Die Tatsache, dass ich den Wagen nach Zürich gefahren hatte, verlor jegliche Bedeutung. Ich war möglicherweise nicht im üblichen Sinne gekidnappt worden, aber doch ganz sicher manipuliert – vermutlich in jeder Hinsicht!
Diese letzte Überlegung öffnete natürlich allen möglichen Spekulationen Tür und Tor, welcher Art die Beziehung genau gewesen war, die mich mit Mr. Peterson verbunden hatte. Es war bereits öffentlich geworden, dass ich ihn im Alter von dreizehn Jahren kennengelernt hatte. Obwohl Mr. Peterson fast vierzig Jahre lang glücklich verheiratet gewesen war, seine Frau nie betrogen hatte und keinerlei unangemessenen Kontakt zu Kindern gehabt hatte – im Grunde genommen gar keinen – und obwohl nicht einmal der Hauch
Weitere Kostenlose Bücher