Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)
elektrische Aktivität des Gehirns gemessen wird. Falls Sie es nicht wissen: Epilepsie kommt von einer Überaktivität des Gehirns. Das funktioniert folgendermaßen:
Das Gehirn jedes Menschen ist eine Ansammlung elektrischer Aktivität, und normalerweise benehmen sich alle elektrischen Signale so, wie sie sollen. Sie fangen an, breiten sich aus und hören auf, wie es von ihnen verlangt wird. Aber während eines epileptischen Anfalls passiert etwas Abnormales. Die Neuronen fangen an, völlig willkürlich herumzufunken, und statt eines geordneten, regulierten Flusses pulsiert eine chaotische Flut aus Elektrizität durch das Gehirn. Dabei verraten einem die jeweiligen Symptome, wo die Elektrizität aus dem Ruder gelaufen ist. Zuckungen oder Krämpfe deuten darauf hin, dass es im motorischen Kortex passiert, in dem Bereich des Gehirns, der für die kontrollierte Bewegung zuständig ist, und Halluzinationen kommen vor, wenn das Problem in einem der Wahrnehmungszentren auftritt. Und bei einem generalisierten Anfall verliert man völlig das Bewusstsein, was nichts anderes heißt, als dass die Fehlfunktion sich durch den gesamten Kortex bis zum Hirnstamm ausgebreitet hat. Das widerfuhr mir an jenem Tag in der Küche, und diese Art von Anfall verbinden die meisten Menschen mit Epilepsie. Dr. Enderby erklärte mir, dass ein epileptischer Anfall mit einem Gewittersturm zu vergleichen sei, der sich im Gehirn abspielt – ein Sturm, der kurzzeitig alle Kommunikationsverbindungen kappt, sodass Botschaften von außen entweder nicht durchdringen oder nur verstümmelt ankommen. Das Gehirn nimmt nichts anderes wahr außer sich selbst.
Ich muss wohl kaum betonen, dass mein EEG jede Menge pathologischer Spitzen aufwies. Zusammen mit den anderen Symptomen war dies der letzte Beweis, der aus der vorläufigen Diagnose eine endgültige machte. Ich litt an Epilepsie. Allerdings war immer noch nicht klar, wo die Sache ihren Ursprung hatte. Dazu musste eine Kernspintomografie gemacht werden, wo mithilfe von riesigen Magneten und Radiowellen ein 3-D-Bild der Hirnstruktur angefertigt wird. Dr. Enderby warnte, dass in mehr als der Hälfte aller Fälle keinerlei körperliche Gründe für Epilepsie gefunden wurden. Aber in meinem Fall gab es Anlass zu der Vermutung, dass ein Grund ausgemacht werden konnte – und so war es auch.
Die Kernspintomografie brachte eine leichte Beschädigung an meinem rechten Temporallappen ans Tageslicht, und genau das hatte Dr. Enderby erwartet. Aber die Bestätigung, dass es eine physiologische Ursache für meine Epilepsie gab, war nicht unbedingt eine gute Nachricht. Ein Schaden an der Hirnstruktur ließ daran zweifeln, dass die Symptome von selbst wieder verschwinden würden. Vermutlich standen mir weitere Anfälle bevor, die mit Medikamenten kontrolliert werden mussten.
Genau das geschah zwei Wochen später. Ich hatte einen weiteren generalisierten Anfall und wurde auf Antiepileptika eingestellt, die ich seitdem regelmäßig einnehmen muss.
5 Gehirn gebunden
Was als Nächstes geschah (die Kurzfassung):
Die Anfälle wurden schlimmer. Ich konnte nicht mehr in die Schule gehen. Wir mussten mit Sam und Justine die Wohnungen tauschen, damit ich zu Hause bleiben konnte, während meine Mutter im Laden arbeitete. Meine Welt schrumpfte auf fünf kleine Zimmer zusammen. Ich hatte merkwürdige Visionen. Ich las viel. Ich korrespondierte weiterhin mit Dr. Weir. Ich gewöhnte mich daran, mit meinem Zustand zurechtzukommen. Es wurde langsam besser. Eines Tages, etwa ein Jahr später, kehrte ich wieder in die Schule zurück. Wir zogen wieder in unser Haus ein.
Und hier ist die Langversion.
Es wurde ziemlich schlimm, bevor es mir langsam besser ging. Gleich nach der Diagnose hatte ich jede Woche einen generalisierten und fast jeden Tag einen komplexen partiellen Anfall. Ich litt an einem schweren Fall von Epilepsie, die ich nicht kontrollieren konnte. Anfangs war sie völlig unberechenbar – so schien es mir wenigstens –, und das machte sie so aufreibend. Ich konnte nicht einmal mit meiner Mutter in den Supermarkt gehen, weil ich Angst hatte, vor dem Müsliregal zusammenzubrechen. Während eines schlimmen Anfalls war mir die Dramatik der Ereignisse natürlich glücklicherweise nicht bewusst. Die Demütigung und die Scham kamen erst später, wenn ich wieder bei mir war. Tränen und Speichel waren ständige Begleiter der Anfälle, und oft auch eine erhebliche Menge Urin, genauso wie die Gaffer, wenn es in der
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