Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)
Dickinson handelte. Als ich ihn fragte, was es bedeuten sollte, wollte er mir darauf keine Antwort geben. Stattdessen fragte er mich, was ich dachte, was es bedeutete.
»Ich weiß nicht«, sagte ich, nachdem ich ein paarmal in meinem Bürstenhaarschnitt herumgekratzt hatte. »Ich weiß zwar, was die Wörter bedeuten, aber insgesamt ergibt das keinen Sinn.«
»Hmm«, sagte Dr. Enderby und kratzte seinerseits seine Glatze. »Nun, kennst du den Unterschied zwischen einer Silbe und einem Laut?«
»Da gibt es keinen so großen Unterschied«, sagte ich. »Ein Laut ist ein Laut, und eine Silbe ist auch eine Art Laut. Eine Silbe ist ein Stückchen Laut in einem Wort. Oder manchmal ist sie auch ein ganzes Wort. So wie das Wort ›Laut‹ ein Laut ist, der aus einer Silbe besteht.«
Ich war nicht so ganz zufrieden mit meiner Erklärung, aber Dr. Enderby schien zu wissen, was ich meinte. »Vielleicht ist genau das der Punkt«, sagte er. »Vielleicht gibt es tatsächlich keinen großen Unterschied. Genauso wie es zwischen Gott und dem Gehirn keinen großen Unterschied gibt.«
»Wieso gibt es zwischen Gott und dem Gehirn keinen Unterschied?«, fragte ich stirnrunzelnd.
Dr. Enderby grinste und rückte seine Brille zurecht. »Nun, unser Gehirn erschafft für jeden individuellen Menschen ein eigenes, einzigartiges Universum. Darin existiert alles, was wir wissen. Alles, was wir sehen oder berühren. Alles, was wir fühlen und woran wir uns erinnern. In gewisser Weise erschaffen unsere Gehirne die Realität. Ohne das Gehirn gibt es nichts. Einige Menschen finden diese Vorstellung angsteinflößend, aber mir erscheint sie wunderschön. Das ist der Grund, warum ich diese Tafel an die Wand gehängt habe, wo ich sie jeden Tag sehen kann.«
Ich sagte Dr. Enderby, ich sei jetzt doch ein bisschen verwirrt – er sei doch Buddhist.
»Wenn ich dieses Gedicht betrachte, ist Gott nur eine Metapher«, erklärte Dr. Enderby.
»Also glauben Sie nicht, dass Gott das Gehirn erschaffen hat?«, wollte ich wissen.
»Nein, das glaube ich nicht«, antwortete Dr. Enderby. »Ich glaube, das Gehirn hat Gott erschaffen. Denn das menschliche Gehirn, wie wunderbar es auch sein mag, ist immer noch fehlbar – wie wir beide sehr gut wissen. Es ist ständig auf der Suche nach Antworten, aber selbst wenn es so funktioniert, wie es sollte, sind die Erklärungen, die es liefert, nur selten vollkommen – besonders wenn es sich um die großen, komplizierten Fragen des Lebens handelt. Das ist der Grund, warum wir es pflegen müssen. Wir müssen ihm Raum geben, damit es sich entwickeln kann.«
Das war in etwa der Kern dessen, was Dr. Enderby mir erklärte. Sein Gehirn hatte sehr viel Zeit damit verbracht, über das Gehirn nachzudenken.
Als wir uns das erste Mal begegneten, sagte er zu mir, dass der Anfall, den ich gehabt hatte, vermutlich nicht mein erster gewesen sei. Es war vielleicht mein sechster oder siebter, vielleicht auch der dreizehnte oder der dreiundzwanzigste, das konnte niemand mit Gewissheit sagen. Wie ich schon erwähnte, hatte ich in den Monaten vor meinem Kollaps in der Küche oftmals merkwürdige Gedanken. Gedanken, die völlig fehl am Platz waren, die von seltsamen Bildern und Geräuschen und Gerüchen begleitet wurden. Sie fühlten sich an wie Tagträume – kurze, sonderbare Träume, die mich ohne Vorwarnung mitrissen und sich dann genauso schnell wieder in die Gegenwart verwandelten. Sie waren schlimm und kamen so häufig, dass man in der Schule darauf aufmerksam geworden war und mir »Konzentrationsschwierigkeiten« bescheinigt hatte.
Als ich Dr. Enderby davon erzählte, sagte er mir, dass dies die klassischen Symptome von partiellen epileptischen Anfällen seien, die im Temporallappen ihren Ursprung hatten, und normalerweise würde er mich jetzt fragen, ob ich mir in den letzten achtzehn Monaten irgendwelche Kopfverletzungen zugezogen hatte. In meinem Fall war das unnötig. Dr. Enderby sah die Narbe klar und deutlich auf meinem Kopf, und er wusste auch über den Meteoriten Bescheid. Jeder wusste darüber Bescheid.
Trotzdem musste ich eine Reihe von Tests durchlaufen, ehe Dr. Enderby seine endgültige Diagnose stellte. Er leuchtete mir mit einem Lichtstrahl in die Augen und drückte und zwickte mich an verschiedenen Stellen meines Körpers, um meine Sensibilität und meine Reflexe zu überprüfen. Dann kamen Blutuntersuchungen und eine Elektroenzephalografie, bei der man Drähte auf die Kopfhaut geklebt bekommt, womit die
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