Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)
wussten wie er.
Ich sollte wohl noch ein paar Dinge über Dr. Enderby erzählen, denn er sollte in den kommenden Jahren für mich sehr wichtig werden.
Ich mochte Dr. Enderby sehr. Aber andererseits mochte ich die meisten Ärzte und Wissenschaftler, die ich kennenlernte – und zu dieser Zeit begegnete ich einer ganzen Menge. Eine Zeit lang kam es mir so vor, als ob ich Ärzte und Wissenschaftler sammelte, wie normale Kinder Fußballbildchen sammelten. Aber ich will damit sagen, bei Dr. Enderby hatte ich gleich das Gefühl, dass wir uns ähnlich waren – abgesehen von der Tatsache, dass er ein berühmter Neurologe und ich noch in der Grundschule war.
Genau wie ich war Dr. Enderby kahlköpfig. Ich hatte eine Art Glatze, weil nach meinem Unfall meine Haare oberhalb meines rechten Ohrs nicht mehr richtig nachwuchsen. Da war immer dieses fehlende Büschel. Meine Mutter meinte, es würde überhaupt nicht auffallen und man müsse meinem Haar Zeit lassen, um wieder zu seiner alten Pracht zurückzufinden. Nach ein paar Monaten wäre die kahle Stelle wieder völlig bedeckt. (Meine Mutter mochte kurze Haare nicht besonders.) Aber nach meinem Unfall fühlte ich mich nicht mehr wohl, wenn meine Haare eine bestimmte Länge erreicht hatten. Zwei Zentimeter, mehr ging nicht. Sichtbare Narben machten mir nicht so viel aus wie unregelmäßig nachwachsende Haare. Und so trage ich seit meinem Unfall einen Bürstenschnitt. Ich habe einen Langhaarschneider und rasiere mir alle drei Wochen den Schädel.
Natürlich unterschied sich meine Kahlköpfigkeit von der Dr. Enderbys. Während ich die Wahl hatte, ob ich mein Haar nachwachsen lassen wollte oder nicht, blieb Dr. Enderby diese Möglichkeit verwehrt. Im Alter von achtzehn Jahren begannen ihm die Haare auszufallen, und als er seinen Universitätsabschluss machte, war er schon gänzlich kahl. Und während meine Haarlosigkeit das Resultat eines schrecklichen Unfalls war – wie bei Lex Luthor –, hing es bei Dr. Enderby mit der Vererbung zusammen. Dazu musste er nicht einmal seine DNS untersuchen lassen. Er hatte zwei Brüder, die auch kahlköpfig waren. Beide arbeiteten ebenfalls als Ärzte im Königlichen Spital. Dr. Enderby (der Neurologe oder auch Dr. Enderby I., wie ich ihn insgeheim immer nannte, obwohl er der jüngste der Brüder war) erzählte mir, dass er und seine beiden Brüder es vermieden, auf dem Gelände des Krankenhauses zusammen gesehen zu werden. Die meisten Patienten befanden sich unfreiwillig im Krankenhaus, und der Anblick von drei kahlköpfigen Ärzten mit demselben Namen konnte ihren Zustand nur verschlimmern. Dr. Enderby war ein echter Komiker, wenn er wollte.
Er war außerdem ein merkwürdiger Mann. Auf seine Weise war er vermutlich genauso merkwürdig wie Dr. Weir. Er war nicht nur ein Neurologe, er war auch praktizierender Buddhist. Das bedeutete, dass er nicht an Gott oder den Himmel glaubte, sondern daran, dass wir alle nett zueinander sein sollten, weil dies die praktischste Art war, um durchs Leben zu kommen. Er glaubte auch daran, dass regelmäßige Meditationen einen besseren und klügeren Menschen aus einem machten (obwohl er es mir aus einem anderen Grund vorschlug). Er meinte, Meditation würde einem dabei helfen, auf die eigenen inneren Kräfte zurückzugreifen, damit man Glück erschaffen und unbeschadet durch die Höhen und Tiefen des Lebens manövrieren konnte. In dem gottlosen buddhistischen Universum waren die inneren Kräfte besonders wichtig.
Dr. Enderbys Meinung über Gott und Meditation hing direkt mit seinen Ansichten über das Gehirn zusammen. An der Wand in seinem Sprechzimmer war eine komische kleine Tafel angebracht mit spinnenartiger Schrift darauf – wie eine alte Schreibschrift.
Das Hirn ist völlig paar mit Gott –
Wiegst du sie – Pfund um Pfund –
Weicht eins vom anderen nur ab –
Wie Silb und Laut im Mund –
Als ich die Tafel das erste Mal sah, verstand ich kaum, was der Spruch bedeutete, und was ich gar nicht verstand, waren diese ganzen Bindestriche und die Großbuchstaben. (Mr. Treadstone, der Englischlehrer, der mich in naher Zukunft erwartete, hätte jeden einzelnen Bindestrich und jeden falschen Großbuchstaben mit roter Tinte als Fehler markiert.) Aber mir gefiel der Klang der Worte.
Als ich mich schließlich ein paar Jahre später traute, Dr. Enderby nach der Tafel zu fragen, erzählte er mir, dass es sich um den letzten Vers eines Gedichtes einer sehr alten, sehr toten amerikanischen Dichterin namens Emily
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