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Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)

Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)

Titel: Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gavin Extence
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Öffentlichkeit passierte. Menschen werden von beängstigenden und peinlichen Auftritten förmlich angezogen, und es gibt wohl kaum etwas Beängstigenderes und Peinlicheres als einen elfjährigen Jungen, der sich zuckend in einer Pfütze aus Pipi windet.
    Schon bald wurde die Außenwelt, das Verlassen des Hauses, einer der Hauptauslöser für die Anfälle. Dr. Enderby erklärte mir, dass es mit dem erhöhten Stress zu tun habe, den ich aus Angst vor öffentlichen Anfällen empfand. Es war sozusagen die Angst vor den Anfällen, die die Anfälle hervorrief. Ich musste es schaffen, meine Angst zu kontrollieren.
    Das gelang mir aber nicht. Jedes Mal, wenn mich meine Mutter irgendwohin mitnehmen wollte, geriet ich sofort in Panik, was einen Krampf auslöste. Die einzigen Orte, an denen ich mich sicher fühlte, waren unser Haus, der Laden, unser Wagen und das Krankenhaus. Es macht nichts, wenn man im Krankenhaus einen Anfall hat, denn die Leute erwarten ein solches Benehmen in Krankenhäusern, und dort gibt es Menschen, die sich um einen kümmern können. Ich hatte überhaupt keine Angst davor, im Krankenhaus einen Anfall zu bekommen, und deshalb hatte ich im Krankenhaus auch nie einen Anfall. Mein Zustand war schrecklich und absolut dämlich.
    Aber während dieser frühen Phase war es nicht nur die Häufigkeit meiner epileptischen Anfälle, die mich im Haus hielt. Es waren auch die Nebenwirkungen der Antiepileptika. Es dauerte Monate, bis sich mein Körper an das Carbamazepin gewöhnt hatte. Anfangs war ich völlig durcheinander. Mein Kopf war schwer und benebelt. Ich war ständig müde. Mir war oft schlecht und schwindelig. Mein Schädel brummte. Alles verschwamm vor meinen Augen. Ich hatte weiche Knie. Ich legte mir »Babyspeck« zu, wie meine Mutter es nannte. Irgendwann verschrieben mir die Ärzte noch weitere Medikamente – starke Schmerzmittel und Tabletten gegen Übelkeit –, um die Nebenwirkungen abzumindern. Das half auch eine Weile, aber an den Anfällen änderte sich nichts. Also wurde die Dosis Carbamazepin erhöht, und die Nebenwirkungen, die sich langsam abgeschwächt hatten, blühten erneut auf. Dr. Enderby meinte, wir sollten uns keine Sorgen machen. Jeder Patient sei ein Individuum, und oft würde es Monate dauern, bis die passende Dosis gefunden war.
    Meine Mutter erklärte, sie wolle mich einer begleitenden Therapie unterziehen, irgendetwas Homöopathisches. Dr. Enderby zögerte. Er meinte, es gebe einige alternative Therapien, die sich bei Epilepsie als hilfreich erwiesen hätten, aber Homöopathie gehöre nicht dazu. Von einem wissenschaftlichen Standpunkt aus betrachtet, hatte Homöopathie sich noch bei rein gar nichts als hilfreich erwiesen. Und es bedeutete oft eine Abkehr von der Behandlung, die bewiesenermaßen etwas brachte. Eine teure Abkehr.
    Meine Mutter wies ruhig darauf hin, dass sie etliche Leute kannte, die durch homöopathische Medizin gesund geworden waren.
    Dr. Enderby wies ruhig darauf hin, dass er etliche Leute kannte, die durch homöopathische Medizin nicht gesund geworden waren. Dann redeten sie über Placebos.
    Was folgte, war eine lange, geduldige und völlig sinnlose Diskussion.
    Schließlich gab Dr. Enderby nach und sagte, dass meine Mutter bei mir eine homöopathische Behandlung versuchen könne, solange ich weiterhin meine verschriebenen Medikamente einnahm. Er drückte es etwa so aus: Selbst im schlimmsten Fall könne eine homöopathische Behandlung mir wenigstens keinen Schaden zufügen.
    Nachdem sie einen Homöopathen konsultiert hatte, verabreichte mir meine Mutter Cuprum metallicum und Belladonna – Kupfer und tödliche Tollkirsche. Ich begann bei beidem mit einer D12-Potenz, was bedeutete, dass der Wirkstoff in einem Verhältnis von eins zu einer Billion verdünnt war. Als dies kein Resultat zeigte, wurde die Dosis zu einer D24-Potenz erhöht – eins zu einer Billion Billionen. Wiederum später erhielt ich eine D100-Potenz der tödlichen Tollkirsche. Diese Dosis war noch verdünnter und noch potenter. Sie war dermaßen verdünnt, dass ihre pure Existenz einem Stinkefinger im Angesicht von vierhundert Jahren wissenschaftlichen Fortschritts gleichkam. Nur zur Veranschaulichung (und ich denke mir das jetzt nicht aus): Wenn man ein einzelnes Molekül des Wirkstoffs der tödlichen Tollkirsche in einem Glas Wasser auflösen würde, das etwa so groß wäre wie das bekannte Universum, dann wäre die Belladonna-Dosis, die ich zu mir nahm, etwa hundert Millionen Billion mal

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