Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)
hatte eine recht ereignislose Woche.
Nachdem meine Mutter einige Monate lang regelmäßig in ihrer Seele geforscht und in ihren Erinnerungen gewühlt hatte, um Klarheit zu bekommen, was an jenem Tag passiert sein mochte, kam sie zu dem Schluss, dass meine Anwesenheit bei ihren Sitzungen nicht länger wünschenswert war. Es hatte nicht nur damit zu tun, dass mein Geist reifer wurde und meine eigenen psychischen Vibrationen lauter und störender. Da war auch noch etwas anderes – etwas, das sie spüren, aber nicht benennen konnte. Mehrmals, wenn es im Laden ruhig war, ertappte ich sie dabei, wie sie mich mit nachdenklich geschürzten Lippen und gerunzelter Stirn betrachtete. Eines Tages kam sie zu mir und fragte mich ganz direkt, ob es etwas gäbe, das sie wissen sollte. Dies war eine der beunruhigenden Fragen, die mir meine Mutter von Zeit zu Zeit stellte, und normalerweise hätte ich lediglich verneint und die Sache wieder vergessen. Aber dies waren keine normalen Umstände, und mir war klar, dass sie das Thema nicht einfach fallen lassen würde. Ich dachte also gebührend darüber nach.
Nachdem ich selbst eine Weile die Stirn in Falten gelegt hatte, entschied ich mich, meiner Mutter anzuvertrauen, dass ich in letzter Zeit ein paar merkwürdige Träume gehabt hatte.
»Was für Träume?«, fragte sie interessiert.
»So ähnlich wie Tagträume«, sagte ich, »aber komische.«
Ich sah meiner Mutter an der Nasenspitze an, dass es nicht das war, was sie erwartet hatte. Ich versuchte es noch einmal.
»Mir ist letztens etwas Komisches passiert«, sagte ich nach kurzem Zögern.
Meine Mutter nickte mir ermunternd zu.
»Als ich im Lager war«, fuhr ich fort, »bildete ich mir ein, nebenan brennende Kerzen zu riechen. Aber als ich die Tür aufmachte und nachsah, waren alle Kerzen aus.«
Ich wusste, dass ich dem Ereignis mit meinen Worten nicht gerecht wurde, tröstete mich aber damit, dass meine Mutter unter den gegebenen Umständen die Sache wohl auf sich beruhen lassen würde.
»Das hat wahrscheinlich gar nichts zu bedeuten«, schloss ich.
»Oh nein«, widersprach meine Mutter, und die Furchen auf ihrer Stirn vertieften sich. »Das hat etwas zu bedeuten.«
»Was denn?«, fragte ich zaghaft.
»Etwas«, wiederholte meine Mutter.
Und wieder einmal bewies sich die Intuition meiner Mutter als mächtige Kraft, denn etwa sechs Monate nach diesem Vorfall, im Alter von elfeinviertel, hatte ich meinen ersten epileptischen Anfall.
4 Elektrische Stürme
Es geschah um neun Uhr abends an einem Wochentag, kurz nach Weihnachten. Meine Mutter hörte, wie ich in der Küche hinfiel. Es war wie der Einschlag des Meteoriten, nur irgendwie kleiner. Nachdem meine Mutter einen prüfenden Blick zur Zimmerdecke geworfen hatte, kniete sie sich neben mich und hielt meinen Kopf, während ich mit weit aufgerissenen, nach oben verdrehten Augen, in denen nur das Weiße sichtbar war, zuckte und mir der Schaum vor dem Mund stand. Ich selbst habe davon natürlich nichts mitbekommen; ich hatte schon längst das Bewusstsein verloren. Erst Minuten, nachdem die Krämpfe aufgehört hatten, kam ich wieder zu mir. Das Letzte, woran ich mich erinnerte, war mein Gang in die Küche, um mir ein Glas Milch einzuschenken. Mein Kopf hämmerte zum Steinerweichen. Mir war eiskalt, und meine Pyjamahose war nass. Während der Bewusstlosigkeit hatte sich meine Blase entleert. Ich kann Ihnen versichern, ein generalisierter Anfall ist kein besonders würdevolles Erlebnis.
Dr. Dawson, der auf der anderen Straßenseite wohnte, kam zehn Minuten später zu uns und untersuchte mich. Er gab mir Diazepam, ein Beruhigungsmittel, das einen schläfrig macht und außerdem Anfälle unterdrückt. Dann bat er uns, am nächsten Morgen zu ihm in die Praxis zu kommen. Er war der Ansicht, dass ich einen epileptischen Anfall gehabt hatte, aber er meinte, wir müssten ins Krankenhaus, um weitere Tests machen zu lassen.
Diesmal kam ich nicht ins Yeovil-Bezirkskrankenhaus. Ich wurde ins Königliche Spital von Bristol eingewiesen, weil sich dort die besseren Geräte – und die Spezialisten – befanden. Der Arzt, der mit mir und meiner Mutter sowohl vor als auch nach den Tests sprach, hieß Dr. Enderby, und er war sogar ein dreifacher Spezialist. Er war Neurologe, spezialisiert auf Epilepsie mit dem Fachgebiet Epilepsie im Kindesalter. Ich halte es für einen Glücksfall, dass ich an Dr. Enderby geriet. Es gab nicht viele Ärzte im Land, die so viel über Epilepsie im Kindesalter
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