Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)
gab es »die Schachtel«. Sam hatte es geschafft, einen Schreibtisch und einen Stuhl hineinzuquetschen, und sie benutzte den Raum als Arbeitszimmer für das, was sie eben so arbeitete. Ich dagegen schaffte es, ein ganzes Bett hineinzuzwängen. Nachdem das Bett drinnen war, blieb noch ein etwa dreißig Zentimeter breiter Korridor frei. Die Tür ließ sich nicht mehr vollständig öffnen. Meine Mutter hatte behauptet, dass man unmöglich ein Bett in die Schachtel stellen konnte, und hatte mehr oder weniger darauf bestanden, dass wir uns ein Zimmer teilen, aber sie hatte das Ausmaß meines Bedürfnisses nach Privatsphäre unterschätzt. Unmöglich oder nicht, ich war fest entschlossen, mein Bett in dieses Zimmer zu bringen, und nachdem ich die Rollen abgenommen und den Bezug entfernt hatte, schob ich es hinein wie einen Tetrisblock in eine passende Lücke. Dann erforschte ich meine Seele und beschloss, den Streifen, den man begehen konnte, einem schmalen Bücherregal zu opfern. Auf das Regal stellte ich eine Lampe und meinen Meteoriten. Danach blieb nur noch eine Ecke in meinem Zimmer, in der ich stehen konnte. Die Ecke war kleiner als das Innere einer Telefonzelle.
Meine Kleidung musste ich in einer Truhe im Wohnzimmer aufbewahren, aber die meiste Zeit trug ich sowieso einen Schlafanzug.
Meine Welt war sehr klein geworden, und so blieb sie auch, für eine sehr, sehr lange Zeit.
Nach einer Weile wurde alles zur Routine, selbst die Anfälle. Ich gewöhnte mich an sie, und meiner Mutter ging es ebenso. Dr. Enderby hatte uns gleich am Anfang erklärt, dass epileptische Anfälle schlimmer aussehen, als sie sind. Sie tun nicht weh, es sei denn, man fällt hin und schlägt sich den Kopf auf oder beißt sich auf die Zunge, während man bewusstlos ist. Ernsthafte Verletzungen sind sehr selten, und meine Anfälle dauerten immer nur wenige Minuten.
Ich lernte, die Anfangsstadien meiner Anfälle zu erkennen, lange bevor ich lernte, wie ich sie aufhalten konnte. Es gibt eine Art Frühwarnsystem, das »Aura« genannt wird, und es äußert sich gewöhnlich in einem sehr speziellen Empfinden oder einem Gefühl – einem Klingeln in den Ohren, einem Schwindel oder Taumeln, einem plötzlichen Déjà-vu. In meinem Fall war die Aura immer dieselbe: ein plötzlicher, übermächtiger Geruch. Das mag kurios klingen, ist es aber nicht. Dr. Enderby meinte, dass viele Menschen mit Temporallappenepilepsie starke Geruchshalluzinationen hätten. Die Aura, die mich überkam, bewies, dass meine Anfälle ihren Anfang im olfaktorischen Kortex nahmen, ehe sie sich in andere Teile meines Schädellappens ausbreiteten, Teile, die für mein Gedächtnis, meine Gefühle und so weiter zuständig waren.
Als es mir schließlich gelang, meine Aura zu erkennen und den Ablauf zu begreifen, büßte ich während eines Anfalls meine Orientierung und die Kontrolle über mich nicht mehr völlig ein. Manchmal, wenn ich partielle Anfälle hatte, bei denen ich das Bewusstsein nicht verlor, war es fast so wie kurz vor dem Einschlafen, wenn man noch halb wach ist und winzige Bilder im Kopf aufblitzen wie Filmfetzen. Diese Bilder waren immer noch seltsam, aber als ich verinnerlicht hatte, was da geschah, waren sie nicht mehr so verstörend.
Meine Mutter kaufte mir ein Buch über Epilepsie, das ihr Dr. Enderby empfohlen hatte, und in diesem Buch stand, dass Menschen, die an Temporallappenepilepsie litten, manchmal tiefreligiöse Visionen erlebten. Die Art der Visionen hing davon ab, wie gläubig die Person erzogen worden war. Patienten hatten von allen möglichen Halluzinationen berichtet, von Engeln, Dämonen, blendend weißen Lichtern, perlenbesetzten Toren, bärtigen Männern, vielarmigen Elefantengöttern, der Jungfrau Maria, von Jesus mit einer Trompete – so etwas in der Art.
In der Vision, die zu jener Zeit am häufigsten auftrat, sah ich einen hageren, schmutzigen und nackten Bauern kopfüber an einem Baum hängen, mit einem Fuß an einen Ast gefesselt.
»Das ist der Gehängte«, flüsterte meine Mutter, als ich ihr davon erzählte.
»Ich weiß, dass es der Gehängte ist«, gab ich unwirsch zurück. Und ich erkannte sofort, dass ich besser meinen Mund gehalten hätte. Jetzt würde sie eine große Sache daraus machen.
»Er bedeutet oft Stillstand – ein Leben, das nicht vorankommt«, erläuterte meine Mutter.
»Ich weiß, wofür der Gehängte steht«, versicherte ich ihr.
»Du sagst mir, wenn du noch etwas siehst, nicht wahr?«, bat sie.
Ich beschloss,
Weitere Kostenlose Bücher