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Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)

Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)

Titel: Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gavin Extence
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wiedergefunden hatte, es sei denn, er wolle mich tragen. Der Nieselregen stach in die nackte Haut auf meinem Nacken und meinem Gesicht, und kleine Tränen aus Regen sammelten sich auf meiner Kleidung. Ich merkte, wie sich meine Sinne wieder einfanden und an ihren richtigen Platz zurückkehrten. Ich fragte, seit wann es regnete. Der Zollbeamte schaute mich an, ohne etwas zu sagen. Sein Blick zeigte deutlich, dass er an Geplauder nicht interessiert war.
    Ein Streifenwagen kam, und man brachte mich zu einem Zimmer in der Polizeiwache von Dover, das man Gesprächszimmer C nannte. Aber vorher musste ich in einem kleinen Container im Zentrum der Hafenanlage warten. Ich musste lange warten. Ich bekam jede Menge Beamte von der Hafenbehörde zu Gesicht, aber niemand redete mit mir. Sie gaben mir bloß diese knappen Anweisungen, die meistens nur aus zwei Wörtern bestanden, wie »Warte hier« und »Nicht bewegen«, oder sie sagten mir, was als Nächstes mit mir passieren würde, wie ein Chor in einem antiken griechischen Drama. Und nach jeder Äußerung fragten sie nach, ob ich sie verstanden hätte, als ob ich ein Schwachkopf wäre. Aber vermutlich wirkte ich so auf sie. Ich weiß es nicht. Ich hatte mich immer noch nicht von meinem Anfall erholt. Ich war müde, meine Koordination glich der eines Betrunkenen, und insgesamt fühlte ich mich ziemlich abwesend, als wäre mein Kopf in Watte eingewickelt. Ich hatte Durst, aber ich wollte nicht fragen, ob irgendwo ein Getränkeautomat stand, weil sie sonst vielleicht dachten, ich wollte abhauen. Wenn man in Schwierigkeiten steckt, reicht schon eine einfache, völlig berechtigte Frage, um einen in noch mehr Schwierigkeiten zu bringen. Vielleicht haben Sie diese Erfahrung auch schon gemacht. Ich weiß nicht, warum das so ist. Man könnte fast meinen, dass man eine unsichtbare Linie überschritten hat, und plötzlich erscheint den Leuten das Vorhandensein ganz alltäglicher Dinge wie Getränkeautomaten und Cola light als etwas Ungeheuerliches. Möglicherweise werden einige Situationen als derart gravierend betrachtet, dass man sie nicht mit kohlensäurehaltigen Getränken trivialisieren will.
    Auf jeden Fall kam irgendwann die Streife und brachte mich zum Gesprächszimmer C, wo sich meine Lage nicht im Mindesten verbesserte. Das Gesprächszimmer C war kaum größer als ein Wandschrank und nur mit dem Nötigsten ausgestattet. Die Wände und der Boden waren nackt. In der Mitte stand ein rechteckiger Tisch mit vier Plastikstühlen, und hoch oben in der rückseitigen Wand befand sich ein Fenster, das aber nicht so aussah, als ob man es öffnen könnte. An der Decke hing ein Feuermelder und in einer Ecke eine Überwachungskamera. Das war alles. Es gab nicht einmal eine Uhr.
    Ich wurde angewiesen, mich zu setzen, und dann ließ man mich allein. Die Zeit kam mir endlos lang vor. Ich denke, das war vermutlich Absicht, damit ich unruhig und nervös wurde, aber ich habe keine Beweise für meine Vermutung. Glücklicherweise macht mir das Alleinsein nichts aus; ich fühle mich wohl mit mir selbst und kann mich gut beschäftigen. Ich kenne mindestens eine Million verschiedener Übungen, um ruhig und konzentriert zu bleiben.
    Wenn man müde ist, aber wach bleiben muss, braucht man etwas Kniffeliges, um die Gedanken zu beschäftigen. Daher konjugierte ich unregelmäßige spanische Verben, angefangen mit dem Präsens und dann immer weiter durch die Zeiten. Ich sprach sie nicht laut aus, wegen der Überwachungskamera, sondern sagte sie im Stillen auf, dabei bemühte ich mich, die Betonung und die Aussprache in Gedanken korrekt wiederzugeben. Ich war gerade bei entiendas , dem Konjunktiv Präsens der zweiten Person Singular von entender (verstehen), als sich die Tür öffnete und zwei Polizisten hereinkamen. Einer war der Beamte, der mich am Hafen abgeholt hatte. Er hatte ein Klemmbrett dabei, auf dem sich einige Blätter Papier befanden. Den anderen Polizisten hatte ich noch nie gesehen. Beide sahen nicht erfreut aus.
    »Guten Morgen, Alex«, sagte der Polizist, den ich nicht kannte. »Ich bin Chief Inspector Hearse. Deputy Inspector Cunningham hast du ja schon kennengelernt.«
    »Ja«, sagte ich. »Hallo.«
    Ich werde Sie nicht mit einer ausführlichen Beschreibung von Chief Inspector Hearse oder Deputy Inspector Cunningham langweilen. Mr. Treadstone, mein alter Englischlehrer, hat immer gesagt, wenn man über eine Person schreibt, muss man nicht jedes Detail bezüglich dieser Person erwähnen.

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