Das Ungeheuer von Florenz
zu seiner Linken stehen. Die Straße war nun kurvig und stieg an. Sie traf auf eine zweite, breitere Landstraße, die rechts vom Schilf wegführte und links zu einer Teerstraße wurde, an der ein paar Häuser standen. Das alles stimmte nicht. Ratlos hielt er an. Ein alter Mann mit einem Stock kam von der Teerstraße auf ihn zu und setzte sich trotz der Kälte, die ihm Hände und Gesicht gerötet hatte, auf eine niedrige Mauer, um Luft zu schöpfen.
»Entschuldigen Sie bitte, ich suche nach der Straße, die in der Nähe des Friedhofs herauskommt.«
Der alte Mann saß reglos da und gab keine Anzeichen von sich, etwas gehört zu haben, vielleicht des Windes wegen. Der Maresciallo stieg aus und ging auf ihn zu.
»Entschuldigen Sie, ich suche den Friedhof. Ich dachte, dies sei eine Abkürzung. Ein alter Freund von mir ist hier begraben…«
Er wurde wirklich langsam paranoid, doch er wurde das Gefühl nicht los, daß Di Maira, der ihn dauernd zu beobachten schien, ihm auch hier auf den Fersen war.
»Er suchte nach dem Weg, wo dieses Pärchen umgebracht worden war…«
»Er hatte einen sizilianischen Akzent…«
»Den Friedhof?«
»Ja, ich dachte, diese Straße führt dorthin.«
»Da sind Sie hier ganz falsch.«
»Aber kann ich nicht durch die Felder hinfahren?«
»Sie sind ganz falsch. Von hier geht's nach Signa. Sie müssen diese Straße da entlangfahren, die führt zur Ortsmitte. Dann ungefähr einen Kilometer zurück, bis Sie zum Rathaus kommen, und dort in die Straße nach Castelletti einbiegen. Und von da ab sind es noch drei Kilometer, vielleicht ein bißchen mehr. Sie können den Friedhof nicht verfehlen.«
»Aber… der Vingone – fließt denn hier nicht der Vingone?«
»Nein, nein, das ist erst hinter dem Zentrum von Signa. Wenn Sie links abbiegen, fahren Sie drüber. Der Verkehr geht über die Brücke.«
»Aber das, was ich meine, ist nur ein Flüßchen. Und fließt, soviel ich weiß, durch die Felder.«
»Davon weiß ich nichts. Ich kenne nur den Fluß. Sie sehen ihn, wenn Sie drüberfahren.«
Der Maresciallo stieg wieder ins Auto ein. Wie konnte er sich nur so verfahren haben? Der Feldweg begann doch direkt gegenüber Rossinis Haus und führte auf geradem Wege hierher. Dann fiel es ihm ein: Irgendwo im Bericht des Richters stand, daß Sergio, nachdem er den Mord gestanden hatte, sagte, er habe seinen Sohn begleitet. Man hatte Sergio aufgefordert, den Carabinieri, von Rossinis Haus ausgehend, den Weg zu zeigen, und er war in der Nähe von Signa herausgekommen, mehr als einen Kilometer vom Tatort entfernt. Sergio hatte den Weg also auch nicht gekannt. Beide, er und der Maresciallo, hatten den gleichen Fehler gemacht.
Dann also von der anderen Seite aus. Er zog noch einmal Lorenzinis Skizze aus der Tasche. Das Kino, das Rathaus, die Straße nach Castelletti, der Friedhof.
Die Skizze vor sich an die Windschutzscheibe gelehnt, fuhr er wieder los.
Lorenzini hatte gute Arbeit geleistet. Nach wenigen Kilometern kam der Maresciallo, wie es der alte Mann auf der Mauer gesagt hatte, an den Marmorsäulen und den schmiedeeisernen Toren des Friedhofs mit den Reihen schwarzer Zypressen vorüber. Demnächst würde sich die Straße gabeln… da… dann die erste Abzweigung rechts. Er blinkte, konnte aber nicht abbiegen. Die Kette, die, wie Lorenzini gesagt hatte, die ganzen Jahre über die Straße versperrt hatte, hing immer noch dort. Er fuhr heran und stieg aus, um sie sich anzusehen. Die Kette war dick und schwer und rostig, das Schloß fest verschlossen. Da war nichts zu machen. Der Maresciallo schloß das Auto ab, stieg über die Kette und machte sich zu Fuß auf den Feldweg. Nun stimmte es wieder. Eine hohe Böschung, auf welcher Schilfrohr stand, versperrte ihm die Sicht auf den Bach zu seiner Rechten. Ungefähr zwanzig, fünfundzwanzig Meter… Eine Kurve, hinter der jemand, der den Weg beschritt, das Auto nicht sehen konnte. Und das Auto, das dem Fahrzeug der Opfer folgte? Auch das hätte man ja von der Straße aus nicht sehen dürfen. War es vielleicht mit abgestelltem Motor und ausgeschaltetem Licht hier rechts hineingerollt? Es war anzunehmen.
Zur Linken des Maresciallo lag freies Feld. Das Gras war lang und kräftig, denn es war bis Weihnachten mild und feucht gewesen. Doch nun wehte ein eiskalter Wind von den am lila Horizont kaum sichtbaren Bergen herunter, und das Gras schwankte in grün und silbrig glänzenden Wogen hin und her. Der Maresciallo blieb stehen, seine Ohren und sein Gesicht
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