Das Ungeheuer von Florenz
brannten, und seine Finger begannen trotz der dicken Lederhandschuhe, die er trug, zu schmerzen. Die grimmige Eiseskälte des Windes, die ihm in die Wangen zwickte und seinen Atem fortwehte, war ein so erfrischender und belebender Gegensatz zu der Müdigkeit und Anspannung, die sich in ihm angesammelt hatten, daß er einen Augenblick stehenblieb und an gar nichts dachte.
Es war eine leise Stimme aus längst vergangener Zeit, die ihn in die Gegenwart zurückbrachte.
»Silvano stand im Schilf.«
Er schaute hinüber. Das Schilf war nun abgestorben, die Rohre vertrocknet und abgebrochen. Dahinter könnte sich niemand verstecken. Doch im August waren sie dicht, und die Blätter raschelten.
»Da war ein Geräusch, und er stand im Schilf.«
In der schwarzen, schwülheißen Nacht hatte kein Lüftchen geweht. Sieben Schüsse und dann noch einer. Das war die einzig sichere Methode. Silvano mußte sich vergewissern, daß sie tot waren, erst dann konnte er es riskieren, den unfähigen Sergio schießen zu lassen, damit er sich später selbst des Mordes bezichtigen konnte. Sieben Schüsse, die dicht nebeneinander in die Körper eingedrungen waren, mitten ins Ziel. Ein Schuß, von dem man annahm, er sei aus einer anderen Richtung abgefeuert worden, der sie nur am Arm traf und an der Seite streifte. Und als nun das Kind aufwachte und sein Vater es aus dem Auto zog, stand Silvano noch immer im Schilf versteckt. Der Kleine sah seinen Onkel erst, als er die Handtasche seiner Mutter durchsuchte.
»Los geht's, hopp.«
Das mußte Silvanos Stimme gewesen sein. Eine andere Möglichkeit gab es nicht. Sich sehen zu lassen, wie er Sergio und das Kind nach Signa zurückfuhr, hätte Silvano nicht riskiert. So dumm war er nicht. Sergio hatte also das Kind allein wegbringen müssen und sich dann vielleicht auf der Straße nach Pistoia abholen lassen. Aber wie hatte sich Sergio in der Dunkelheit zurechtgefunden, wenn er doch den Weg nicht kannte? Wer aber kannte den Weg? Angius. Salvatore Angius, der junge Freund und Liebhaber Silvanos, der keine Lira in der Tasche hatte und der am anderen Ende just dieser Straße wohnte und sie vielleicht als Abkürzung nach Signa benutzte, denn ein Fahrzeug besaß er nicht.
»War noch jemand bei deinem Vater dabei?«
»Ich glaube, da war ein Mann, aber ich weiß nicht, wer das war.«
Vermutlich stimmte das sogar. Der Junge wußte es nicht – und was sollte das ein Kind auch interessieren, dessen Mutter gerade ermordet worden war?
Der Ablauf der Ereignisse war nun so klar, wie er nur sein konnte. Vielleicht würde Sergio eines Tages die Wahrheit sagen. Eine wenig wahrscheinliche Möglichkeit.
Als nächstes wollte der Maresciallo mit dem Auto diesen Weg abfahren bis zur Straße nach Pistoia. Nicht zu Fuß, das würde eine gute Stunde dauern, und es begann bereits dunkel zu werden. Er ging noch ein kurzes Stück weiter und sah einen gut erhaltenen Weg, der von einer Gruppe von Häusern hinter den Feldern zu seiner Linken heranführte. Weiter hinten sah er ein Auto fahren und war sich ziemlich sicher, daß dieser Weg die nächste Abzweigung von der Straße war, auf der er selbst gekommen war. Er ging zu seinem Auto zurück. Er hatte recht gehabt, Gott sei Dank. Nachdem er auf der Hauptstraße einen guten halben Kilometer weitergefahren war, stieß er auf die Häusergruppe und die Abzweigung, und binnen weniger Sekunden erreichte er den Feldweg, der zum Tatort geworden war, und lenkte seinen Wagen in Richtung des Hauses von Rossini.
»Aha.«
Direkt vor ihm lag die Erklärung seines Fehlers. Der Feldweg wand sich nach rechts, und direkt vor sich sah er die kleine Brücke über den Bach, wo Nicolino seiner Schilderung nach abgesetzt worden war. Man mußte über die Brücke gehen, um auf eine zweite Straße, die von Signa herführte, zu kommen, die Straße nämlich, auf der er gefahren war, ohne die Brücke und die Biegung zu bemerken. Sergios Fehler war also keineswegs sonderbar oder etwa das Anzeichen eines Widerspruchs. Er war in Silvanos Auto zum Tatort gefahren worden und hatte in der undurchdringlichen Dunkelheit nicht darauf geachtet, wo der Feldweg begann. Vermutlich war Sergio bis zum Ende des Feldwegs begleitet worden, und dort konnte man nicht falsch abbiegen, denn es gab nur einen nach vorn weiterführenden Weg, den richtigen.
Jetzt ging es jedoch nicht weiter, denn vor der Brücke hing wieder eine schwere, rostige, mit einem Schloß gesicherte Kette.
»Mist!«
Der Maresciallo wollte schon
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