Das Ungeheuer von Florenz
Ferrini, der lachte und ihn mit zynischen Bemerkungen provozierte. Ferrini, der Advocatus diaboli, der ihn dazu zwang, seinen Standpunkt zu verteidigen.
Aber jetzt war kein Ferrini da, und er konnte genausogut alles wegräumen und zu Bett gehen. Vielleicht fühlte er sich weniger ausgelaugt, wenn er einmal eine Nacht richtig schlief.
Er schlief, doch es war ein unruhiger, unglücklicher Schlaf. Die ganze Nacht über bemühte er sich anscheinend nach Kräften, Ferrini von dem einen oder anderen zu überzeugen. Die wenigen Male, die er aufstand und halb wach ins Badezimmer oder in die Küche ging, um etwas zu trinken, fiel ihm beim besten Willen nicht ein, welches Argument er eben noch mit solchem Nachdruck vorgetragen hatte. Doch kaum machte er die Augen wieder zu, da redete er weiter unablässig auf Ferrini ein, überzeugte ihn aber nicht. Das Schlimmste daran war, und er merkte es sogar im Traum, daß er selber nicht mehr wußte, wovon er eigentlich redete.
Der Wecker klingelte um Viertel vor sieben, und er schlug die Augen auf und war erleichtert. Danach allerdings meldete ein flaues Gefühl in seinem Magen, daß nichts war, wie es sein sollte. Teresa war nicht nach Hause gekommen, das war das erste, was ihm einfiel. Ferrini hatte ihn im Stich gelassen, das war das zweite. Was würde als nächstes kommen… Marco, er hatte ihn nicht angerufen, um zu fragen, wie die Auktion gegangen war. Zu sehr von seinen eigenen Problemen in Anspruch genommen und vielleicht unwillig, noch weitere schlechte Nachrichten zu hören… Aber vielleicht war es ein gutes Zeichen, daß Marco seinerseits nicht ihn angerufen hatte. Das konnte bedeuten, daß alles in Ordnung war. Und – er seufzte, denn es fiel ihm ein, daß er noch etwas erledigen mußte: Zwar hatte er den Vormittag für sich und konnte mit Lorenzini durchgehen, was inzwischen in seinem eigenen Revier angefallen war, doch man hatte ihm die Aufgabe übertragen, die Mutter eines der weiblichen Mordopfer aufzusuchen, die Mutter der jungen Frau, der womöglich die im Hause des Verdächtigen sichergestellten Schmuckstücke gehörten. Nachdem er sich alle seine Kümmernisse vergegenwärtigt hatte, stand er auf. Beim Blick in den Badezimmerspiegel fügte er der Liste seiner vorübergehenden Probleme das Dauerproblem hinzu, dessen er sich jedesmal, wenn es schlecht lief, besonders bewußt war: sein Übergewicht.
Eine Stunde später ging es ihm ein wenig besser, denn er hatte eine Zeitlang auf seinem eigenen Stuhl, in seinem eigenen Büro gesessen und mit Lorenzini über vertraute Probleme gesprochen. Ihm wurde bewußt, daß er sich wehmütig ausmalte, vor seiner eigenen Türschwelle sei ein entsetzliches Verbrechen geschehen, so daß er von der Sonderkommission freigestellt wurde, um sich darum zu kümmern. Aber zwei geraubte Handtaschen, eine Schlägerei in einer Bar und ein vermißter Hund boten wenig Anlaß zur Hoffnung auf ein Entkommen.
»Ist irgend etwas in der Post?«
»Nichts, womit Sie sich befassen müßten. Wie kommen Sie denn voran?«
»Ach, Sie wissen ja…«
Der Maresciallo zuckte mit den Schultern. Es wäre tröstlich gewesen, sich Lorenzini anzuvertrauen, jemanden zu haben, mit dem er alles besprechen konnte, was ihn umtrieb, sich nicht ganz so allein zu fühlen. Doch das hätte ihn nur belastet. Er sagte nichts. Lorenzini wartete noch einen Augenblick und sagte dann: »Also, ich gehe wieder nach nebenan.«
»Nein, bleiben Sie. Ich glaube, ich gehe mal rüber zum Borgo Ognissanti…«
Er erhob sich vom Schreibtisch und holte seinen Paletot.
»Rufen Sie doch mal dort an, bitte. Fragen Sie, ob der Capitano da ist.«
Er knöpfte sich langsam den Mantel zu und dachte an den Tag zurück, an dem Capitano Maestrangelo nach ihm geschickt hatte. Er hatte sich geschämt und wohl schon gewußt, daß es um den Fall nicht so stand, wie es sein sollte. Es wurde Zeit, daß sie ihre Karten auf den Tisch legten; so konnte er nicht weitermachen, nicht allein.
»Er ist beim Colonnello«, sagte Lorenzini und legte auf.
»Die übliche Morgenbesprechung. Bis Sie dort sind, ist sie vorbei. Man richtet ihm aus, daß Sie vorbeikommen.«
»Danke. Da fällt mir gerade ein, der große Umschlag da…«
»Der hier?«
»Ja, genau, schicken Sie ihn doch bitte in Dr. Biondinis Büro, ja. Es ist eine Fotografie, die er sich ansehen will, und ich möchte im Augenblick nicht selbst hingehen.«
An jedem anderen Tag hätte er das mit Freuden getan, aber heute war er zu bedrückt, um
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