Das Ungeheuer von Florenz
veranstalten, kriegen sie auch nur idiotische Leute!«
Er war noch nicht fertig. Der Maresciallo hörte ihn immer noch laut schimpfen, als er kehrtmachte, die Treppe wieder hinabstieg und den Heimweg einschlug.
Er ging wieder über die Brücke. Er ging sehr langsam, doch sein Herz klopfte schnell, und trotz der kühlen feuchten Luft war sein Gesicht heiß.
Er hätte es wissen müssen. Er hätte imstande sein müssen, zwei und zwei zusammenzuzählen. Das Unbehagen des Capitano, als er »Warum ich?« gefragt hatte. Dann die komische Bemerkung von Esposito in der ersten Woche, der ihn dazu beglückwünscht hatte, den Mord im Transsexuellenmilieu aufgeklärt zu haben.
»Unter diesen Umständen war ich ein wenig überrascht, Sie hier zu sehen. Das zeigt mal wieder, daß man auf Gerüchte nichts geben sollte.«
Alle wußten es. Es war ein weitverbreitetes Gerücht. Ferrini hatte es natürlich von Anfang an gewußt und angenommen, er wisse es ebenfalls. Wieso hatte er das nicht kapiert? Warum war er so langsam? Ferrini hatte sich doch lang und breit darüber ausgelassen, daß man die anständigen Fälle den jungen Leuten gab, die zwar den gleichen Dienstrang, aber keine Erfahrung hatten. Für ihn war klar gewesen, daß es sich hier um eine Show der Polizei handelte und daß sie nur dabei waren, weil es schlecht ausgesehen hätte, wenn die Carabinieri, die bekanntermaßen Romola unterstützten, gefehlt hätten.
Und wenn er an die arme Teresa dachte, die ihm allen Beweisen zum Trotz einreden wollte, daß man ihn für einen guten Kriminalbeamten hielt. Wenn sie doch nur zu Hause wäre… Aber würde er ihr denn die Wahrheit sagen können?
»Wenn die eine so idiotische Untersuchung veranstalten, kriegen sie auch nur idiotische Leute!«
Diese Bemerkung hatte sich ihm eingebrannt. Man sagt natürlich, wer ein Gespräch belauscht… aber er hatte es nicht absichtlich getan.
»Maresciallo? Guten Morgen.«
Er schaute benommen auf und war überrascht, sich vor dem Palazzo Pitti wiederzufinden. Dr. Biondini schaute ihm fragend ins Gesicht. »Sie waren ja ganz weit weg! Wie ich sehe, konzentrieren Sie sich darauf, Ihr Ungeheuer zu fangen. Ich wollte mich nur für die Fotografie bedanken. Einer Ihrer Männer hat sie mir gebracht. Ich werde sie mir heute abend genau anschauen. Schade, daß ich Sie bei meiner Ausstellungseröffnung nicht gesehen habe.«
»Ja…«
Der Maresciallo runzelte die Stirn. »Später, ich kann jetzt nicht… guten Morgen.«
Er ging unter dem Bogen davon und die Treppe hinauf und angelte nach dem Schlüssel. Zum Glück war Lorenzini im Dienstzimmer und besprach gerade etwas mit den zwei jungen Kollegen dort, so daß der Maresciallo in sein eigenes Büro gehen, die Tür hinter sich zumachen, sich an seinen Schreibtisch setzen und seinen Gedanken nachhängen konnte. In seine Grübeleien vertieft, starrte er lange Zeit auf ein Blatt Papier, das Lorenzini ihm hingelegt hatte, bis ihm einfiel, es auch zu lesen.
Ein offensichtliches Problem bei Sonderkommissionen war, daß die in die Ermittlungen einbezogenen Abteilungen der Polizei nicht ihre besten Kriminalisten abstellten. Sie setzten Beamte ein, für die sie anderweitig keine Verwendung hatten.
Darunter hatte Lorenzini Baccis Anmerkung gesetzt: »Sind wir das?«
15
Hinter der dunklen Sonnenbrille sah der Maresciallo die Gebäude und die Menschen manchmal schnell, häufiger jedoch sehr langsam vorüberziehen.
»Diese Straße ist ein einziger Stau«, sagte der Carabiniere, der neben ihm am Steuer saß. »Wenn ich hier draußen wohnen und jeden Morgen zur Arbeit gehen müßte, das würde mich anöden.«
Es war die vierte oder fünfte Bemerkung dieser Art, seit sie in nördlicher Richtung stadtauswärts unterwegs waren. Auch dieses Mal erhielt der Fahrer keine Antwort. Der Maresciallo nahm wohl wahr, daß man mit ihm sprach, doch es dauerte so lange, bis er aus seinen Gedanken auftauchte, daß die Gelegenheit für die angemessene banale Erwiderung jedesmal verpaßt war. Zwar wollte er nicht, daß sein junger Kollege dachte, er sei zornig oder irgend etwas dieser Art, eine begütigende Erklärung für sein tiefes Schweigen brachte er aber auch nicht zustande. Und die Wahrheit war ja kaum angebracht… Ich fühle mich nicht ganz auf dem Posten, weil der Colonnello offen ausgesprochen hat, daß ich ein Idiot bin. Im Grunde hätte ihn interessiert zu erfahren, was der Capitano dachte, denn der Colonnello war ja erst seit September in Florenz, von ihm
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