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Das Ungeheuer

Titel: Das Ungeheuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Cook
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schlief VJ tief und fest. Er lag auf der Seite, mit dem Gesicht zu ihr gewandt. Im Schlaf sah er wie ein Engel aus. Konnte dieser hübsche Junge, ihr kleiner VJ, wirklich die Hand bei den dunklen Ereignissen bei Chimera im Spiel gehabt haben? Sie vermochte sich nicht zu überwinden, an Janice und David zu denken, ihren über alles geliebten ersten Sohn. Aber zu ihrem Entsetzen tauchte der schreckliche Anblick von David in seinen letzten Tagen, wie er dalag, schwer gezeichnet von der heimtückischen Krankheit, das kleine Gesicht gelb und ausgezehrt, mit plötzlicher, fotografischer Schärfe vor ihrem geistigen Auge auf.
    Marsha unterdrückte einen Schrei. Ganz unvermittelt beschwor ihr Geist die gräßliche Vision in ihr herauf, wie sie ein Kissen nahm, es auf VJs friedliches Gesicht preßte und ihn erstickte. Entsetzt verscheuchte sie das Bild und schüttelte sich. Dann floh sie leise zurück durch die Diele, vor sich selbst weglaufend.
    Marsha blieb an der Tür zum Gästezimmer stehen, das vorübergehend Philips Zimmer geworden war. Als sie die Tür aufstieß, konnte sie Philips massigen Kopf schemenhaft vor dem fahlen Weiß des Bettlakens ausmachen. Nach einem kurzen Moment des Überlegens schlüpfte Marsha in den Raum und stellte sich vor das Bett. Philip schnarchte in tiefem Schlaf, beim Ausatmen leise Pfeiftöne von sich gebend. Marsha beugte sich zu ihm und knuffte ihn behutsam an der Schulter. »Philip!« rief sie leise. »Philip!«
    Philips Augen öffneten sich blinzelnd. Er fuhr abrupt hoch. Ein Anflug von Furcht huschte kurz über sein Gesicht, bevor er Marsha erkannte. Dann lächelte er, seine großen, weit auseinanderstehenden Zähne entblößend.
    »Entschuldigen Sie, daß ich Sie geweckt habe«, flüsterte sie. »Aber ich muß einen Augenblick mit Ihnen reden.«
    »Okay«, sagte Philip schlaftrunken.
    Marsha zog einen Stuhl an das Bett, knipste die Nachttischlampe an und setzte sich. »Ich wollte mich bei Ihnen dafür bedanken, daß Sie VJ ein so guter Freund sind«, begann sie.
    Ein breites Lächeln trat auf Philips Gesicht, als er in das Licht der Lampe blinzelte. Er nickte.
    »Sie müssen ihm eine große Hilfe beim Einrichten des Labors gewesen sein«, sagte Marsha.
    Wieder nickte Philip.
    »Wer hat sonst noch dabei mitgeholfen?«
    Philips Lächeln verblaßte. Er blickte sich nervös im Zimmer um. »Das darf ich nicht sagen.«
    »Ich bin VJs Mutter«, erinnerte ihn Marsha. »Mir dürfen Sie's ruhig erzählen.«
    Philip wand sich unbehaglich in seinem Laken.
    Marsha wartete, aber Philip hüllte sich in Schweigen.
    »Hat Mr. Gephardt mitgeholfen?«
    Philip nickte.
    »Aber dann bekam Mr. Gephardt Probleme. Wurde er böse auf VJ?«
    »O ja!« stieß Philip hervor. »Er wurde wütend, und dann wurde VJ wütend. Aber VJ sprach mit Mr. Martinez.«
    »Wie heißt Mr. Martinez mit Vornamen?«
    »Orlando«, antwortete Philip.
    »Arbeitet Mr. Martinez auch bei Chimera?«
    Philips Unruhe begann zurückzukehren. »Nein«, sagte er. »Er arbeitet in Mattapan.«
    »In der Stadt Mattapan?« fragte Marsha. »Südlich von Boston?«
    Philip nickte.
    Marsha wollte gerade eine weitere Frage stellen, als sie plötzlich das Gefühl hatte, daß jemand hinter ihr war. Ein kalter Schauer rieselte ihr über den Rücken. Sie drehte sich um. VJ stand im Türrahmen, die Hände gegen die Türpfosten gestemmt, das Kinn nach vorn gereckt.
    »Ich glaube, Philip braucht seinen Schlaf«, sagte er.
    Marsha erhob sich abrupt. Sie wollte etwas sagen, brachte aber keinen Laut heraus. Statt dessen drängte sie sich hastig an VJ vorbei und rannte nach unten in ihr Zimmer.
    Während der nächsten halben Stunde lag Marsha wie betäubt da, erfüllt von der Angst, daß VJ in ihr Schlafzimmer käme. Sie fuhr jedesmal erschreckt auf, wenn der Wind die Zweige der Eiche gegen die Seitenwand des Hauses drückte.
    Als die Zeit verrann und VJ nicht auftauchte, entspannte sich Marsha schließlich ein wenig. Sie drehte sich auf die Seite und versuchte einzuschlafen, aber sie fand keine Ruhe. Ihre Gedanken wanderten zu dem mysteriösen Orlando Martinez. Dann dachte sie an Janice Fay. Von Janice schweiften ihre Gedanken zu David, und das altvertraute Gefühl von Traurigkeit stellte sich wieder ein. Sie dachte an Mr. Remington und die Pendieton Academy. Dann kam ihr der Lehrer in den Sinn, der versucht hatte, sich VJs anzunehmen, und der gestorben war. Sie fragte sich, woran er gestorben sein mochte.
    Das nächste, was sie wahrnahm, war Victor, der sie

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