Das Ungeheuer
weckte, um ihr zu sagen, daß er mit VJ wegging.
»Wie spät ist es?« fragte Marsha und schaute selbst auf die Uhr. Zu ihrer Überraschung war es halb zehn.
»Du hast so fest geschlafen, daß ich es nicht über mich gebracht habe, dich zu wecken«, sagte Victor. »VJ und ich fahren jetzt zu seinem Labor. Er will mir die Details von seiner Implantationsarbeit zeigen. Warum kommst du nicht mit? Ich hab' so ein Gefühl, daß das ein ganz großes Ding werden wird.«
Marsha schüttelte den Kopf. »Ich bleib' hier. Du kannst mir ja davon erzählen.«
»Willst du wirklich nicht mitkommen?« ließ Victor nicht locker. »Wenn diese Sache so gut ist, wie ich glaube, vielleicht wirst du dann mit dieser ganzen Situation besser fertig.«
»Nein, ich möchte wirklich nicht«, sagte Marsha, aber in ihrer Stimme schwang Zweifel mit. Victor drückte ihr einen Kuß auf die Stirn. »Versuch dich zu entspannen, okay? Es wird sich alles zum Besten wenden. Da bin ich ganz sicher.«
Als Victor über die Hintertreppe nach unten ging, zitterte er buchstäblich vor Erregung. Wenn die Implantation tatsächlich so funktionierte, wie VJ es behauptete, dann konnte er die anderen Mitglieder des Verwaltungsrats auf der nächsten Verwaltungsratssitzung am Mittwoch mit der Neuigkeit überraschen.
»Mom kommt nicht mit?« fragte VJ. Er wartete bereits im Mantel an der Hintertür. Philip stand neben ihm.
»Nein, aber sie ist heute morgen schon wieder ruhiger«, sagte Victor. »Das spür' ich.«
»Sie hat mitten in der Nacht versucht, Philip auszuhorchen«, berichtete VJ. »Das ist genau die Art von Verhalten, die mich beunruhigt.«
Sobald das Motorengeräusch von Victors Wagen verklungen war, ging Marsha nach oben ins Arbeitszimmer und nahm sich das Bostoner Telefonbuch. Sie setzte sich auf die Couch und schlug unter >M< auf. Leider gab es ganze Heerscharen von Martinez', sogar einige mit dem Vornamen Orlando. Aber sie fand schließlich einen Orlando Martinez in Mattapan. Sie nahm das Telefon auf den Schoß und wählte die Nummer. Der Ruf wurde angenommen, und Marsha wollte schon zu sprechen beginnen, als sie merkte, daß sie mit einem Anrufbeantworter verbunden war.
Die Stimme auf dem Anrufbeantworter sagte ihr, daß das Büro von Martinez Enterprises von Montagmorgen bis Freitagnachmittag geöffnet sei und daß sie nach dem Signalton eine Nachricht von beliebiger Länge hinterlassen könne. Sie hinterließ keine Nachricht. Sie schrieb sich die Adresse aus dem Telefonbuch ab.
Marsha duschte, kleidete sich an, machte sich einen Kaffee und briet sich ein Rührei. Dann zog sie ihren langen Mantel an und ging hinaus zu ihrem Auto. Fünfzehn Minuten später war sie in der Pendieton Academy.
Es war ein windiger, aber sonniger Tag, und der Wind kräuselte die Pfützen, die der Regen vom Vortag hinterlassen hatte. Viele der Schüler waren draußen zu sehen, die meisten von ihnen auf dem Weg zum oder auf dem Rückweg vom obligatorischen Gottesdienst in der Kapelle. Marsha fuhr so dicht an das winzige Gebäude heran, wie es eben ging, und wartete. Sie hielt nach Mr. Remington Ausschau und hoffte, ihn vor der Kapelle abfangen zu können.
Wenig später schlugen die Glocken im Glockenturm elf Uhr. Die Türen der Kapelle gingen auf, und rotbackige Kinder strömten heraus an die frische Luft und ins Sonnenlicht. Zwischen ihnen befanden sich einige Lehrer und Lehrerinnen, und da war auch Mr. Remington. Sein bärtiges Profil stach deutlich aus der Menge heraus.
Marsha stieg aus dem Wagen und wartete. Mr. Remington würde direkt an ihr vorbeikommen. Er ging mit gemächlichem Schritt. Als er nur mehr zwei Meter von ihr entfernt war, rief Marsha seinen Namen. Er blieb stehen und schaute sie an.
»Dr. Frank!« rief er überrascht.
»Guten Morgen!« sagte Marsha. »Ich hoffe, ich störe Sie nicht allzusehr.«
»Überhaupt nicht«, erwiderte Remington. »Haben Sie irgendwas auf dem Herzen?«
Marsha nickte. »Ich wollte Sie etwas fragen, das sich vielleicht ein wenig seltsam anhören mag. Ich hoffe, Sie haben Nachsicht mit mir. Sie erzählten mir, daß der Lehrer, der sich so bemüht hat, VJ zu fördern, gestorben ist. Meine Frage ist nun: Woran ist er gestorben?«
»Der arme Teufel starb an Krebs«, sagte Mr. Remington.
»Das hatte ich befürchtet.«
»Wie bitte? Wie darf ich das verstehen?«
Aber Marsha ging nicht auf seine Frage ein. »Wissen Sie vielleicht auch, an was für einer Art von Krebs?«
»Das weiß ich leider nicht, aber ich glaube, ich
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