Das Ungeheuer
stellte dabei fest, daß einer der Haupttunnel vom Uhrenturm zu dem Gebäude führte, in dem sich die Cafeteria befand. Besonders ermutigend war die Tatsache, daß ganz in der Nähe des Uhrenturms ein Tunnel nach Westen abzweigte.
Die Aktenmappe so behutsam wie möglich haltend, ging Victor hinüber zum Cafeteriagebäude. Der Zugang zum Keller führte durch ein zentrales Treppenhaus. Victor stieg hinunter in den Keller und öffnete die schwere Tür, die den Tunnel zum Uhrenturmgebäude verschloß.
Victor leuchtete mit seiner Taschenlampe in den Tunnel. Er war aus Steinblöcken gebaut. Er erinnerte ihn an eine antike ägyptische Grabhöhle. Victor konnte nicht weiter als zwölf Meter voraus schauen, da der Tunnel an der Stelle einen scharfen Knick nach links machte. Der Fußboden war mit Schutt und Abfall bedeckt. Ein dünnes Rinnsal Wasser rann in die Richtung des Flusses, in unregelmäßigen Abständen kleine schwarze Pfützen bildend.
Victor holte tief Luft und trat in den kalten, muffigen Tunnel, die Tür hinter sich zuziehend. Das einzige Licht, das er jetzt hatte, war der Kegel, den der Strahl seiner Taschenlampe aus der Dunkelheit schnitt.
Victor schritt vorwärts, entschlossen, aber behutsam. Zuviel stand auf dem Spiel. Er konnte sich keinen Fehler leisten. In der Ferne vernahm er das Rauschen von Wasser. Binnen weniger Minuten hatte er ein halbes Dutzend Tunnel passiert, die von dem Haupttunnel abzweigten, in dem er sich befand. Je näher er dem Fluß kam, desto deutlicher hörte er das Rauschen des Wasserfalls.
Victor spürte, wie etwas an seinem Bein vorbeistrich. Er bekam einen solchen Schrecken, daß er um ein Haar die Aktenmappe fallen ließ. Sobald er sich wieder beruhigt hatte, leuchtete er mit der Taschenlampe in die Richtung, aus der er gekommen war. Ein Augenpaar glomm im Schein des Lichtkegels auf. Victor überlief ein Schauder, als ihm bewußt wurde, daß er eine Kanalratte von der Größe einer kleinen Katze anstarrte. Er raffte seinen Mut zusammen und ging weiter.
Aber nur wenige Schritte nach der Begegnung mit der Ratte rutschte Victor auf dem plötzlich schlüpfrig gewordenen Boden aus. Er versuchte verzweifelt, das Gleichgewicht zu halten, und hatte die Geistesgegenwart, die Mappe fest an sich zu pressen, als er gegen die Tunnelwand taumelte. Wie durch ein Wunder schaffte er es, sich auf den Beinen zu halten. Zum Glück war er mit den Ellbogen und nicht mit der Mappe gegen die Wand gestoßen. Wenn die Mappe gegen die Wand geprallt wäre, oder wenn er gefallen wäre, wäre sie unweigerlich explodiert.
Nochmal nahm Victor all seinen Mut zusammen und machte sich auf den nervenzerfetzenden Weg durch die unterirdische Hindernisbahn. Schließlich erreichte er den Seitentunnel, der im richtigen Winkel vom Haupttunnel abzweigte; es mußte jener kleine Tunnel sein, der nach Westen verlief. Mit neu erwachender Zuversicht folgte Victor dem Tunnel bis an den Punkt, wo er in den Keller des Gebäudes mündete, das sich unmittelbar flußaufwärts an den Uhrenturm anschloß.
Victor knipste seine Taschenlampe aus, sobald er gesehen
hatte, wo sich die Treppe befand. Er konnte nicht das Risiko eingehen, daß der Widerschein des Lichtkegels womöglich von irgend jemandem im Uhrenturm bemerkt wurde.
Die nächsten fünfzehn Meter waren die schlimmsten von allen. Victor tastete sich äußerst behutsam vorwärts, bei jedem Schritt vorsichtig erst den rechten Fuß vorsetzend, bevor er den linken nachzog. Er umging den Abfall so gut er konnte, ständig in der Furcht schwebend, er könne ausrutschen und hinfallen.
Endlich erreichte er die Treppe und stieg hinauf. Sobald er im ersten Stock angekommen war, trat er ans nächste Fenster und spähte hinüber zum Uhrenturmgebäude. Eine schmale Mondsichel war inzwischen im Osten aufgegangen und stand jetzt fast in einer Linie mit der Nachbildung des Big Ben. Victor beobachtete den dunklen Schemen des Gebäudes etwa zehn Minuten, aber er sah niemanden.
Dann schaute er zum Fluß. Er senkte den Blick ein wenig und entdeckte sein Ziel. Ungefähr fünfzehn Meter von der Stelle entfernt, an der er sich befand, war der Punkt, wo der alte Hauptabflußgraben vom Fluß abzweigte, um zum Uhrenturm und schließlich in den Tunnel zu führen.
Nachdem er sich noch ein letztes Mal vergewissert hatte, daß ihn vom Uhrenturm aus niemand beobachtete, verließ Victor das Gebäude, in dem er sich befand, und rannte hinüber zum Graben. Er lief so geduckt wie nur möglich, da er
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