Das Ungeheuer
wußte, daß er hier am verwundbarsten war.
Sobald er den Graben erreicht hatte, ging er rasch zu der steilen Treppe direkt hinter den Schleusentoren. Ohne zu zögern stieg er die Treppe hinunter, sich dicht an der Granitwand haltend, um so wenig Sichtfläche wie möglich zu bieten. Auf dem Grund des Grabens angekommen, blickte er nach oben und stellte zu seiner Erleichterung fest, daß er nur noch den oberen Teil des Uhrenturms zu sehen vermochte. Das bedeutete, daß ihn von der Höhe des Erdgeschosses aus niemand entdecken konnte.
Victor verlor keine Zeit und ging direkt zu den beiden
rostigen Torflügeln, die das Wasser im Mühlenteich zurückhielten. Bis auf ein winziges Leck am Grunde des Kanals, durch das ein dünnes Rinnsal sickerte, waren die alten Tore wasserdicht.
Victor bückte sich und legte vorsichtig die Mappe auf den Grund des Abflußkanals. Behutsam ließ er die Verschlüsse aufschnappen und öffnete die Mappe. Der Apparat hatte die Reise unbeschadet überstanden. Jetzt mußte er nur noch den Zündmechanismus einstellen.
Eine zu kurze Zeitspanne würde verhängnisvoll sein -aber eine zu große ebenfalls. Sein größter Trumpf war der Überraschungseffekt. Doch er vermochte beim besten Willen nicht vorauszusagen, wieviel Zeit er für seine nächste Aufgabe benötigen würde. Schließlich entschied er sich -mehr aus einer Laune denn aus rationalem Kalkül heraus -für dreißig Minuten. So behutsam wie irgend möglich klappte Victor den Deckel der Laborzeitschaltuhr auf. Auf Händen und Knien kauernd, schirmte er die Taschenlampe mit dem Körper ab und knipste sie an. Im Schein der Lampe stellte er den Timer auf dreißig Minuten ein.
Victor knipste die Lampe wieder aus und verschloß vorsichtig die Aktenmappe. Er holte noch einmal tief Luft, dann trug er sie zum Schleusentor und klemmte sie zwischen den linken Torflügel und die Stahlstange, die ihn stützte. Ein einziger rostiger Bolzen hielt die Stahlstange an ihrem Platz. Victor hatte das sichere Gefühl, daß dieser Bolzen die Achillesferse des Mechanismus war; er quetschte die Mappe so dicht an den Bolzen wie nur möglich. Dann stieg er die steile Granittreppe hinauf.
Vorsichtig spähte Victor über den Rand des Grabens, ob er irgendwo Lebenszeichen in dem dunklen Uhrenturmgebäude erkennen konnte, aber alles war ruhig. Geduckt lief er zu dem nahe liegenden Gebäude zurück und stieg hinunter in das Tunnelsystem. Er tastete sich zum Cafeteriagebäude und wünschte sich bereits jetzt, er hätte sich mehr als dreißig Minuten gegeben.
Wieder unter freiem Himmel angelangt, rannte Victor zum Fluß und verlangsamte seinen Schritt erst, als der Uhrenturm in Sicht kam. Für den Fall, daß doch jemand Wache hielt, wollte er ganz normal erscheinen, wenn er sich dem Gebäude näherte, weder ängstlich noch verstohlen.
Völlig außer Atem kam Victor an der Treppe vor dem Eingang an. Er verharrte einen Moment, um zu verschnaufen, aber ein Blick auf seine Uhr ließ ihn erschreckt zusammenfahren. Ihm blieben gerade noch sechzehn Minuten. »Mein Gott«, murmelte er, als er die Stufen hinauf und durch die Türöffnung hastete.
Er rannte zu der Falltür und klopfte dreimal dagegen. Da niemand öffnete, klopfte er noch einmal, jetzt mit mehr Nachdruck. Immer noch regte sich nichts. Er bückte sich und tastete nach dem Metallstab, den er bei seinem letzten nächtlichen Besuch benutzt hatte, aber bevor er ihn finden konnte, ging die Falltür auf, und Licht flutete von unten herauf. Einer von Martinez' Leuten schob den Kopf durch die Öffnung.
Victor stieg die Treppe hinunter.
»Wo ist VJ?« fragte er, bemüht, so ruhig wie möglich zu klingen.
Der Wachtposten deutete auf den Raum mit den Gestationstanks. Victor machte sich auf den Weg zur Tür, doch bevor er sie erreichte, ging sie auf, und VJ kam heraus.
»Vater?« sagte VJ überrascht. »Ich hatte eigentlich nicht vor morgen mit dir gerechnet.«
»Ich konnte es nicht mehr erwarten«, erwiderte Victor mit einem Lachen. »Ich hab' erledigt, was ich zu erledigen hatte. Jetzt ist deine Mutter an der Reihe. Sie hat einige Patienten, die sie brauchen. Sie hat ihre Krankenhausrunde noch nicht gemacht.«
Victors Blick schweifte von VJ ab und wanderte einmal mehr durch den Raum. Er mußte jetzt entscheiden, wo er sich im Moment der Explosion aufhalten sollte. Am besten, dachte er, so nahe wie möglich bei der Treppe. Das Instrument, das am nächsten zur Treppe stand, war ein riesiger Gaschromatograph, und
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