Das Ungeheuer
Victor. »Nur effizienter, weil sie schon vereinigt sind.«
»Vielleicht ist es für dich nichts anderes«, erwiderte Marsha. »In Anbetracht dessen, was du mit VJ gemacht hast. Aber für mich ist es etwas anderes. Für mich ist es eine völlig unfaßbare Vorstellung, daß jemand anders meine Kinder aufziehen soll. Was ist mit den restlichen fünf Zygoten? Wo sind sie?«
Erschöpft stand Victor auf und ging zu der Mittelinsel des Raums. Vor einem runden Stahlapparat von der Größe einer Geschirrspülmaschine blieb er stehen. Gummischläuche verbanden den Apparat mit einem Flüssigstickstoffzylinder.
»Sie sind hier drin«, sagte er. »Lebend eingefroren. Willst du sie sehen?«
Marsha schüttelte den Kopf. Sie fühlte sich abgestoßen. Als Ärztin wußte sie, daß eine solche Technologie existierte, aber wenn sie überhaupt darüber nachdachte, tat sie es in abstrakter Form. Sie hätte nie gedacht, daß es sie einmal persönlich betreffen würde.
»Ich hatte nicht vor, dir das alles auf einmal zu erzählen«, sagte Victor. »Aber jetzt kennst du die ganze Geschichte. Ich möchte VJ untersuchen lassen, um sicherzugehen, daß er keine medizinischen Probleme hat.«
»Warum?« fragte Marsha bitter. »Ist etwas mit den anderen Kindern?«
»Sie sind krank geworden«, antwortete Victor.
»Wie krank? Und was für eine Krankheit haben sie?«
»Sehr krank. Sie sind gestorben, an akutem Zerebralödem. Bis jetzt weiß niemand, warum.«
Marsha spürte, wie eine Woge von Schwindelgefühl über sie hinwegrollte. Sie mußte den Kopf senken, um nicht ohnmächtig zu werden. Jedesmal, wenn sie sich gerade gefaßt hatte, enthüllte Victor eine weitere Ungeheuerlichkeit.
»Ist es plötzlich passiert?« fragte sie schließlich und hob den Kopf. »Oder waren sie lange krank?«
»Es kam plötzlich«, gestand Victor.
»Wie alt waren sie?«
»Ungefähr drei.«
Einer der Computerdrucker erwachte plötzlich zum Leben und spuckte wütend seine Datenmassen aus. Dann sprang eine Kühleinheit an und vibrierte leise summend. Marsha hatte das Gefühl, daß das Labor sich selbst führe. Menschen brauchte es nicht.
»Hatten die Kinder, die gestorben sind, das gleiche NGF-Gen wie VJ?« fragte Marsha. Victor nickte.
»Und sie sind ungefähr so alt wie Victor damals, als seine Intelligenz nachließ«, stellte Marsha fest.
»Annähernd«, bestätigte Victor. »Und deshalb will ich die Untersuchung machen lassen - um sicherzugehen, daß VJ keine weiteren Probleme ausbrütet. Aber ich bin überzeugt, daß mit ihm alles in Ordnung ist. Wenn Hobbs' und Murrays Baby nicht gewesen wären, wäre ich nie auf die Idee gekommen, VJ untersuchen zu lassen. Hab Vertrauen zu mir!«
Wenn Marsha zum Lachen fähig gewesen wäre, dann hätte sie es jetzt getan. Soeben hatte Victor praktisch ihr Leben zerstört, und nun verlangte er, daß sie Vertrauen zu ihm hatte. Wie er mit seinem eigenen Kind hatte experimentieren können, war ihr unbegreiflich. Aber daran ließ sich nichts mehr ändern. Jetzt mußte sie an die Gegenwart denken. »Glaubst du, das, was den anderen passiert ist, kann auch VJ passieren?« fragte sie zögernd.
»Das bezweifle ich. Zumal angesichts der sieben Jahre Altersunterschied. Wie es aussieht, hat VJ den kritischen Punkt damals überlebt, als sein IQ abfiel. Vielleicht ist das, was den anderen Kindern passiert ist, eine Folge ihres Daseins als eingefrorene Zygote.« Er brach ab, als er den Gesichtsausdruck seiner Frau sah. Sie würde keinerlei wissenschaftliches Interesse für die Tragödie aufbringen.
»Was ist mit dem Nachlassen seiner Intelligenz?« fragte Marsha. »Könnte es sich dabei um das gleiche Problem in einer geminderten Form gehandelt haben, da er ja ungefähr genauso alt war, als es passierte?«
»Es ist möglich«, sagte Victor. »Aber ich weiß es nicht.«
Marsha ließ den Blick langsam durch das Labor wandern, und sie sah die ganze futuristische Ausrüstung jetzt in einem anderen Licht. Die Forschung konnte Hoffnung auf die zukünftige Heilung von Krankheiten eröffnen, aber sie barg auch ein anderes, sehr beunruhigendes Potential.
»Ich will hier raus!« sagte sie plötzlich und stand auf. Durch die abrupte Bewegung kreiselte der Stuhl in die Mitte des Raums, wo er gegen den Gefrierschrank mit den Zygoten prallte. Victor zog ihn an sich und schob ihn zurück an den Labortisch. Inzwischen war Marsha schon zur Tür hinaus und ging den Korridor hinunter. Victor schloß rasch ab und lief ihr nach. Die Aufzugtür
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