Das Ungeheuer
obwohl sie nur in den ersten Stock mußten; die Tür zum Treppenhaus war von innen abgeschlossen. »Ich weiß, daß du wütend bist«, sagte Marsha. »Ich möchte, daß du dich einigen psychologischen Tests unterziehst. Wenn du allerdings nicht kooperativ bist, brauchen wir damit weder deine noch Jeans Zeit zu verschwenden. Drücke ich mich klar aus?«
»Völlig«, antwortete VJ knapp und fixierte Marsha mit seinen blitzenden blauen Augen.
»Also wirst du mitarbeiten?« fragte sie, als die Aufzugtür sich öffnete.
VJ nickte eisig.
Jean war überglücklich, als sie kamen. Sie hatte große Mühe gehabt, mit den Terminen für Marshas Patienten zu jonglieren, aber es war ihr auf die übliche effiziente Weise gelungen.
Was VJ anging, so freute sie sich wirklich, ihn zu sehen, auch wenn er sie ohne große Begeisterung begrüßte und sich gleich entschuldigte, um auf die Toilette zu verschwinden.
»Er ist ein bißchen daneben«, erklärte Marsha, und sie berichtete Jean von der neurologischen Untersuchung und ihrem Wunsch, ihn einer Reihe fundamentaler Psychotests zu unterziehen.
»Das wird mir heute schwerfallen«, meinte Jean. »Während Sie den Vormittag über weg waren, hat das Telefon in einem fort geklingelt.«
»Schalten Sie den Auftragsdienst ein!« befahl Marsha. »Es ist wichtig, daß ich VJ teste.«
Jean nickte und machte sich sofort daran, die Formulare herauszuholen und den Computer vorzubereiten, damit er die Resultate errechnete und kontrollierte.
Als VJ von der Toilette kam, ließ Jean ihn gleich vor der Tastatur Platz nehmen. Da ihm einige der Tests bereits vertraut waren, fragte sie ihn, mit welchem er am liebsten anfangen wolle.
»Fangen wir mit den Intelligenztests an!« sagte VJ ganz freundlich.
Die nächsten anderthalb Stunden führte Jean den WAIS-R-Intelligenztest durch, zu dem sechs verbale und fünf Performanz-Tests gehörten. Aus Erfahrung wußte sie, daß VJ die Neigung hatte zu zögern, bevor er eine Frage beantwortete oder eine Aufgabe löste. Es war, als wollte er sich seiner Entscheidung doppelt sicher sein.
»Sehr gut!« lobte ihn Jean, als sie fertig waren. »Wie wär's jetzt mit dem Persönlichkeitstest?«
»Ist es der MMPI?« fragte VJ. »Oder der MCMI?«
»Ich bin beeindruckt«, sagte Jean. »Klingt, als hättest du ein bißchen gelesen.«
»Das ist leicht, wenn man eine Mutter hat, die Psychiaterin ist«, entgegnete VJ.
»Wir machen beide, aber fangen mit dem MMPI an«, sagte Jean. »Mich benötigst du dabei nicht. Es sind lauter Multiple-Choice-Fragen. Wenn du Probleme hast, brauchst du nur zu rufen.«
Jean ließ VJ im Testzimmer sitzen und kehrte zurück zur Annahme. Sie rief den Auftragsdienst an und ließ sich die Nachrichten durchgeben, die sich angesammelt hatten. Dann erledigte sie, was sie konnte, und als Marshas Patient gegangen war, brachte sie ihr die übrigen.
»Wie macht sich VJ?« fragte Marsha.
»Könnte nicht besser sein«, verkündete Jean.
»Er ist kooperativ?«
»Wie ein Lämmchen. Ja, es scheint ihm sogar Spaß zu machen.«
Marsha schüttelte erstaunt den Kopf. »Das muß an Ihnen liegen. Bei mir war er gräßlicher Laune.«
Jean faßte dies als Kompliment auf. »Er hat den WAIS-R hinter sich und sitzt mitten im MMPI. Welche Tests möchten Sie sonst noch? Einen Rorschach oder einen Thematischen Apperzeptionstest? Oder was?«
Marsha kaute einen Moment lang am Daumennagel. »Warum machen wir nicht noch den TAT und lassen den Rohrschach einstweilen sausen? Der hat bis später Zeit.«
»Ich mache sie mit Vergnügen beide«, erklärte Jean.
»Belassen wir's beim TAT!« entschied Marsha und nahm die nächste Karteikarte zur Hand. »VJ ist in guter Stimmung, aber wir wollen's nicht übertreiben. Außerdem könnte es interessant sein, den TAT und den Rorschach abzugleichen, wenn sie an verschiedenen Tagen gemacht werden.« Sie rief den Patienten, dessen Karte sie in der Hand hielt, und verschwand zur nächsten Therapiesitzung.
Jean erledigte so viel Papierkram, wie sie konnte, und ging zurück ins Testzimmer. VJ war in seinen Persönlichkeitstest vertieft.
»Probleme?« fragte Jean.
»Ein paar von diesen Fragen sind wirklich zu toll.« VJ lachte. »Bei zweien gibt es keine angemessene Antwort.«
»Es kommt darauf an, die bestmögliche auszusuchen«, sage Jean.
»Ich weiß«, erwiderte VJ. »Mach' ich ja.«
Als es Mittag wurde, legten sie eine Pause ein und gingen zum Krankenhaus hinüber. Dort aßen sie im Coffeeshop. Marsha und Jean nahmen
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