Das Ungeheuer
Victor.
»Natürlich«, antwortete Louis. »Ich brauche nur das Paßwort des Benutzers abzugleichen.«
»Und haben Sie das schon getan?«
»Ja.«
»Na, und wer war es?« Victor war gereizt. Es sah aus, als wolle Kaspwicz absichtlich Schwierigkeiten machen.
Kaspwicz blickte ihn an und schlug dann die Augen nieder. »Sie, Dr. Frank.«
»Ich?« Victor war überrascht. Das war das letzte, was er erwartet hatte. Allerdings entsann er sich, daß er in Betracht gezogen hatte, die Stichworte zu löschen, es vielleicht sogar irgendwann vorgehabt hatte; aber er konnte sich nicht erinnern, daß er es tatsächlich getan hatte.
»Tut mir leid«, sagte Louis und rutschte auf seinem Stuhl hin und her. Ihm war offensichtlich unbehaglich zumute.
»Das ist ganz in Ordnung.« Victor war selbst verlegen. »Danke, daß Sie sich darum gekümmert haben!«
»Gern geschehen«, sagte Louis.
Victor verließ das Rechenzentrum, verblüfft über diese neue Information. Sicher, er war in letzter Zeit ein wenig vergeßlich, aber konnte er tatsächlich die Dateien gelöscht und das Ganze vergessen haben? Oder konnte es aus Versehen geschehen sein? Er überlegte, was er am 18. November getan hatte. Er ging ins Verwaltungsgebäude und stieg langsam die hintere Treppe hinauf. Während er im ersten Stock durch den Korridor zur Hintertür seines Büros schritt, beschloß er, seinen Terminkalender zu überprüfen. Er zog die Jacke aus, hängte sie auf und ging hinaus zu Colleen.
»Dr. Frank, Sie haben mich erschreckt!« rief sie, als Victor ihr auf die Schulter tippte. Sie hatte den Hörer des Diktaphons im Ohr und konzentrierte sich auf das Schreiben. »Ich hatte ja keine Ahnung, daß Sie hier sind.«
Victor entschuldigte sich.
»Wie war's im Krankenhaus?« fragte Colleen. Victor hatte sie am Morgen angerufen und ihr gesagt, daß er erst nachmittags kommen werde. »Ich hoffe, VJ fehlt nichts.«
»Ihm geht's prima«, erwiderte Victor. »Die Tests waren normal. Natürlich warten wir noch auf eine Anzahl Blutuntersuchungen. Aber sie werden sicher auch gut ausfallen«.
»Gott sei Dank!« sagte Colleen. »Sie haben mir einen schönen Schrecken eingejagt, als Sie heute morgen anriefen. Eine umfassende neurologische Untersuchung - das klingt schon ziemlich ernst.«
»Ich war selbst ein bißchen beunruhigt«, gab Victor zu.
»Vermutlich wollen Sie jetzt Ihre Telefonnachrichten«, sagte Colleen und spähte unter einen Stapel Papier auf ihrem ansonsten ordentlich aufgeräumten Schreibtisch. »Ich habe hier irgendwo eine ganze Tonne davon.«
»Warten Sie einen Moment!« bat Victor. »Könnten Sie den Kalender von 1988 noch mal heraussuchen? Besonders interessiert mich der 18. November.«
»Aber gewiß«, sagte Colleen. Sie legte den Diktaphonhörer ab und ging zum Aktenschrank.
Victor begab sich in sein Zimmer. Während er wartete, fiel ihm der bedrohliche Anruf ein, den leider VJ hatte entgegennehmen müssen, und er überlegte, was da zu tun sei. Widerstrebend erkannte er, daß er nicht viel unternehmen konnte. Wenn er einen von denen fragte, mit denen er zur Zeit Probleme hatte, würde er es selbstverständlich abstreiten.
Colleen kam mit dem Kalender herein; der 18. November war bereits aufgeschlagen, als sie ihn Victor unter die Nase hielt. Es war ziemlich viel los gewesen an diesem Tag, aber nichts hatte auch nur das Geringste mit den verschwundenen Stichworten zu tun. Als letzter Eintrag war vermerkt, daß Victor mit Marsha im Another Season gegessen hatte und dann zur Boston Symphony gegangen war.
Marsha zog den Bademantel aus und schlüpfte in das herrlich warme Bett. Sie drehte die elektrische Heizdecke von »hoch« auf »drei« herunter. Victor war von der Wärme so weit wie möglich weggerutscht. Seine Hälfte der Heizdecke wurde nie benutzt. Er war schon seit über einer halben Stunde im Bett und las in einem Stapel wissenschaftlicher Zeitschriften.
Marsha drehte sich auf die Seite und betrachtete Victors Profil. Die scharfe Linie seiner Nase, die leicht hohlen Wangen, die schmalen Lippen - das alles war Marsha so vertraut wie ihr eigenes Gesicht. Trotzdem erschien er ihr fremd. Sie hatte sich immer noch nicht ganz damit abgefunden, was er mit VJ gemacht hatte, und sie schwankte zwischen Unglauben, Wut und Angst, wobei die Angst alles andere beherrschte.
»Meinst du, diese Tests bedeuten, daß VJ okay ist?« fragte sie.
»Ich bin jedenfalls beruhigt«, antwortete Victor, ohne von seiner Zeitschrift aufzublicken. »Und du hast in
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