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Das Ungeheuer

Titel: Das Ungeheuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Cook
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sich auf den Weg zum Wasser. Einen Moment lang erwog er, erst zum Hauptgebäude zurückzugehen und sich seine Jacke zu holen, doch dann ließ er es bleiben.
    Der Tag hatte klar begonnen, aber inzwischen hatte es sich bewölkt. Der Wind kam von Nordosten und roch nach Meer. Hoch am Himmel kreisten ein paar Möwen und kreischten schrill.
    Vor ihm erhob sich der Big-Ben-Nachbau mit seiner um Viertel nach zwei stehengebliebenen Uhr. Victor nahm sich noch einmal vor, die Renovierung des Gebäudes und die Reparatur der Uhr in der Vorstandssitzung am kommenden Mittwoch zur Sprache zu bringen.
    Je näher er dem Fluß kam, desto lauter toste der Wasserfall am Überlauf des Stauwehrs.
    »VJ!« rief Victor, aber seine Stimme verlor sich im Donnern des Wassers. Er ging an der Ostseite des Turmgebäudes entlang weiter, überquerte eine Holzbrücke, die sich über den Schleusenauslaß am Keller des Gebäudes spannte, und gelangte auf den Granitkai, der unterhalb des Damms am Ufer entlang gebaut war.
    Er schaute in den weißen Gischt hinunter, der wütend nach Osten zum Meer hin wirbelte. Dann blickte er nach links auf das breite Wehr, das den Fluß durchschnitt, und auf die Fläche des Stausees dahinter. In der Mitte des Damms strömte das Wasser in einem imposanten smaragdgrünen Bogen herunter - mit solcher Wucht, daß Victor es selbst auf dem Granitkai unter den Füßen spüren konnte. Es war ein ehrfurchtgebietendes Zeugnis für die Macht der Natur, die zu Beginn des Jahres mit sanften Schneeflocken ihren Anfang genommen hatte.
    Victor drehte sich um und wollte aus Leibeskräften nach VJ rufen, aber der Ruf blieb ihm vor Schreck im Halse stecken - VJ stand unmittelbar hinter ihm. Philip war ein Stück weit entfernt.
    »Da bist du ja«, sagte Victor. »Ich habe dich überall gesucht.«
    »Das dachte ich mir schon«, bemerkte VJ »Was willst du?«
    »Ich will...« Victor brach ab. Er wußte nicht genau, was er eigentlich wollte. »Was habt ihr hier gemacht?«
    »Gespielt.«
    »Ich glaube, es ist mir nicht recht, daß du hier so herumstreunst, und schon gar nicht hier unten am Fluß«, sagte Victor streng. »Ja, ich habe dich heute lieber zu Hause. Ich werde dich und Philip von einem Fahrer nach Hause bringen lassen.«
    »Aber ich will nicht nach Hause«, widersprach VJ.
    »Ich werde es dir später erklären«, entgegnete Victor entschlossen. »Doch jetzt wünsche ich, daß du nach Hause fährst. Es ist zu deinem Besten.«
    Marsha öffnete die Praxistür zum Flur, und Joyce Hendricks schlüpfte hinaus. Sie hatte Marsha erzählt, sie habe schreckliche Angst, einem Bekannten über den Weg zu laufen, während sie aus einer psychiatrischen Praxis kam, und vorläufig gab Marsha ihr nach. Mit der Zeit, dessen war sie sicher, würde sie die Frau davon überzeugen können, daß es keine gesellschaftliche Stigmatisierung mehr bedeutete, psychiatrische Hilfe zu suchen.
    Nachdem sie die Akte Hendricks auf den neuesten Stand gebracht hatte, streckte Marsha den Kopf ins Wartezimmer und sagte Jean, sie gehe jetzt zum Mittagessen. Jean winkte bestätigend. Wie üblich hing sie am Telefon.
    Marsha aß mit Dr. Valerie Maddox, einer Berufskollegin, die sie bewunderte und respektierte und die ihre Praxis im selben Gebäudekomplex wie Marsha hatte. Die beiden Frauen waren nicht nur Kolleginnen, sondern auch Freundinnen.
    »Hunger?« fragte Marsha, als Valerie ihr die Tür öffnete.
    »Ausgehungert.« Valerie war Ende Fünfzig, und man sah ihr jeden Tag an. Sie rauchte seit vielen Jahren, und ein Kranz tiefer Falten umgab ihren Mund, der ausschaute wie die Kinderzeichnung einer Sonne.
    Zusammen fuhren sie mit dem Aufzug hinunter und gingen hinüber zum Krankenhaus. Im Kasino fanden sie einen kleinen Tisch in einer Ecke, wo sie ungestört reden konnten. Beide bestellten einen Thunfischsalat.
    »Nett, daß du mit mir ißt«, sagte Marsha. »Ich möchte gern mit dir über VJ reden.«
    Valerie lächelte nur ermutigend.
    »Du warst mir damals auch eine so große Hilfe, als seine Intelligenz nachließ. Ich mache mir in letzter Zeit Sorgen um ihn, aber was soll ich sagen? Ich bin seine Mutter. Ich kann nicht so tun, als sei ich in bezug auf ihn irgendwie objektiv.«
    »Was ist das Problem?« fragte Valerie.
    »Ich bin nicht mal sicher, daß es ein Problem ist. Es ist bestimmt nichts Spezifisches. Schau dir mal diese Testresultate an!« Marsha reichte Valerie VJs Akte, und Valerie überflog die diversen Testberichte mit kundigem Blick. »Nichts

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