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Das Unglück der kleinen Giftmischerin

Titel: Das Unglück der kleinen Giftmischerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Wulff
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allen berichtet, sie hätte den Schwindel mit der italienischen Identität nicht länger mitmachen wollen. Als sie dies Yüllan gesagt habe, sei sie von ihm erstmals und gleich sehr heftig geschlagen worden. Der Vater, der das Ende der Auseinandersetzung mitbekommen hatte, stellte Yüllan zur Rede. Dieser überhäufte ihn daraufhin mit den ordinärsten Schimpfwörtern und bedrohte ihn. Erst als Lisas Vater bereits das Telefon in der Hand hatte, um die Polizei zu rufen, verließ Yüllan laut schimpfend das Haus. Für alle Familienmitglieder war dieser Umschwung völlig unerwartet gekommen, denn Yüllan hatte sich bis dahin als äußerst höflicher, hilfsbereiter und rücksichtsvoller junger Mann gezeigt, der nicht nur seiner Freundin, sondern auch der Dame des Hauses bei jeder Gelegenheit einen Blumenstrauß mitgebracht hatte.
    Auch der weitere Verlauf der Beziehung stellte sich vor allem in den Zeugenaussagen von Lisas Freundinnen völlig anders dar als in Yüllans Schilderungen. Lisa hatte ihnen erzählt, sie hätte nur deshalb schließlich eingewilligt, Yüllan wieder zu treffen und sogar wieder mit ihm zu schlafen, weil er ihr gedroht hatte, andernfalls ihre Eltern und Geschwister und auch sie selbst umzubringen.
    Als ich ihm diese Aussagen vorlas, beschimpfte Yüllan, der mir bisher höflich geantwortet hatte, auch mich und richtete sich mit erhobenen Fäusten vor mir auf. Erst als ich ankündigte, den Wächter herbeizurufen, beruhigte er sich wieder und sagte, Lisas Freundinnen würden lügen. Sie hätten alle mit ihm ins Bett gewollt, und als sie sahen, dass er Lisa bedingungslos treu blieb, hätten sie ihn gehasst und jede Gelegenheit genutzt, um sich an ihm zu rächen. Nein, in Wirklichkeit hätte er Lisa nie geschlagen und nie bedroht, und sie hätte ihn bis zum letzten Augenblick, bis die Killer sie ermordet hätten, geliebt.
    Ich befragte Yüllan dann noch einmal zu der »Meute«, die ihn zweimal bedroht und am Tattag überfallen haben sollte. Für jedes Mal hatte er eine anschauliche Schilderung parat: Er erzählte detailliert, wie diese Leute, deren Aussehen und deren Autos er genau beschrieb, ihn zum Anhalten gezwungen, seine Wagentür geöffnet und Auge in Auge zu ihm gesprochen und ihn bedroht hatten, sollte er Lisa weiterhin nachstellen. Damit war klar, dass es sich bei diesen Schilderungen Yüllans nicht um schizophrene oder paranoide Wahnvorstellungen, verbunden mit optischen und akustischen Halluzinationen handeln konnte, weil solche niemals in derartig situationsbezogenen, wirklichkeitsimitierenden Formen auftreten. Für einen Wahn war die Geschichte einfach zu realitätsverwandt und zu rund.
    Drei Alternativen blieben übrig:
    Die erste: Lisas Vater hatte tatsächlich eine Killerbande beauftragt, was allerdings allen Zeugen zufolge unwahrscheinlich war. Aber ein Wirklichkeitsbruchstück dieser Art schälte sich gleichwohl heraus: Ein Freund Yüllans hatte bei der Polizei angegeben, dieser hätte ihm schon vor einiger Zeit erzählt, irgendwelche Leute würden ihn bedrohen, weil er angeblich etwas besäße, was ihnen gehöre. So hatten wohl ähnliche Szenen, wie Yüllan sie aus den Wochen vor der Tat schilderte, tatsächlich stattgefunden, nur dass sie weder mit Lisa noch mit ihrem Vater irgendetwas zu tun hatten. Mir fielen als möglicher Grund für solche Szenarien politische Auseinandersetzungen unter Kurden oder zwischen Türken und Kurden ein oder illegale Geschäfte mit Drogen. Der tatsächliche Hintergrund ließ sich auch später im Prozess nicht aufklären.
    Die zweite Alternative bestand darin, dass Yüllan, der, wie sein leichtfüßiger Identitätswechsel zeigte, über eine sehr lebhafte Einbildungskraft verfügte, sich ebenso wie in seine Italienerrolle auch in die Killerstory regelrecht hineingelebt hatte, weil diese ihm erlaubte, die für ihn unerträglichen Schuldgefühle wegen der Tötung seiner Freundin zuzudecken. Ich muss einräumen, dass ich diese Alternative bis mitten in den Prozess hinein für die wahrscheinlichste hielt, auch deshalb weil Yüllans Persönlichkeitseigenheiten, seine Fantasie und seine ungewöhnlich starke emotionale Ansprechbarkeit sehr gut zu solchen hysteriformen Verdrängungs-, Identifikations- und Projektionsprozessen passten. Während des Prozesses räumte Yüllan aber ein, dass er sich die ganze Geschichte ausgedacht hatte, um Polizei und Gericht irrezuführen. Und sollte dies nicht gelingen, hoffte er, wenigstens als Verrückter dazustehen und so eine

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