Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure)
kämpfen müssen wie wir alle. Aber auf welche Seite wirst du dich stellen?“
11. Kapitel
Das Rascheln hinter seinem Rücken ließ Haron erschrocken herumfahren. Aber es war nur Tiriot, der durch den Vorhang trat, also wandte er sich wieder den Listen zu, die er angelegt und über denen er gebrütet hatte. Sie verfügten über mehr Ressourcen als je zuvor, seit sie nachts auf Raubzüge gingen, anstatt sich mit Bettelei und Tauschhandel aufzuhalten.
Lebensmittel, Stoffe, Materialien und Waffen – alles, was nicht niet- und nagelfest war und sich allein oder zu zweit tragen ließ, fand seine neue Bestimmung in der Unterstadt. Außerdem erpresste er wichtige Sonderrationen aus dem Kloster. Medizin, Konservierungsmittel, Chemikalien aus der Produktion … Dinge, die nicht in den Läden zu finden waren, die sie plündern konnten.
Trotzdem glitten ihm seine Mittel wie Wasser durch die Finger. Er wusste, dass die Überfälle eine praktische Lösung waren, die nur kurzfristig erfolgversprechend sein konnte. Es würde nicht mehr lange dauern, bis die Sicherheitsvorkehrungen endgültig an ihre Angriffe angepasst wurden und die Exekutive ernsthafte Maßnahmen gegen sie ergriff. Aber Haron hatte gehofft, bis dahin genügend Vorräte beschafft zu haben, um ihnen die kommende Zeit zu erleichtern.
Doch egal, was er tat, es genügte einfach nicht. Sie benötigten alles, was sie erbeuten konnten, um die Unterstadt zu versorgen. Für Rücklagen blieb kaum etwas übrig.
Wie also hatte Xenos das Unmögliche über all die Jahre geschafft? Wie hatte er dieses alles verschlingende System am Laufen gehalten, mit dem Wenigen, das er gehabt hatte?
Mit der Verantwortung über die Verhandlungen mit der Abtei war auch die Aufteilung der Ressourcen an ihn übertragen worden. Dass Xenos beides so kampflos aufgegeben hatte, war ihm zu Beginn nicht sonderlich merkwürdig vorgekommen. Xenos war alt, er hatte gezeigt, dass er den Entwicklungen der letzten Zeit nicht gewachsen war. Allmählich argwöhnte Haron jedoch, dass es nichts weiter war als eine Falle, in der er sich selbst erhängen sollte. Er war mit seiner neuen Aufgabe maßlos überfordert.
Geistesabwesend winkte er Tiriot heran. „Was gibt es?“, fragte er, ohne aufzublicken.
„Ich störe dich. Soll ich später wiederkommen?“
Endlich richtete Haron sich auf und sah seinen Gegenüber an.
„Nein, entschuldige bitte. Ich war nur abgelenkt, das ist alles. Was kann ich für dich tun, mein Freund?“ Mit einiger Mühe zwang er einen interessierten Ausdruck auf sein Gesicht.
„Die Leute werden unruhig, Haron. Sie wollen etwas tun.“
„Wen meinst du?“
„Vor allem Maretha und die übrigen aus unserer Gruppe, aber auch der Rest unserer Leute.“
Unverständnis zeichnete sich auf Harons Gesicht ab. „Sie ziehen jede Nacht durch die Stadt, versetzen die Bewohner in Angst und Schrecken und plündern, als gebe es kein Morgen. Sie tun doch etwas, oder nicht?“
Unruhig trat Tiriot von einem Fuß auf den anderen. Es war nie gut, der Überbringer schlechter Nachrichten zu sein. „Natürlich. Aber das alles sind nur Aufträge, die wir für andere erledigen, nicht für uns. Wir und auch die anderen warten auf etwas Großes. Etwas, das die Welt lehrt, uns zu fürchten. So wie du es angekündigt hast.“
Haron seufzte. „Also doch wir . Etwas Großes, sagst du.“
Resigniert und erschöpft lehnte er seinen Rücken an die Wand. War es wirklich das, was er gewollt hatte, als er Xenos die Stirn geboten hatte? Jetzt, da die Leute anfingen, ihn an seiner statt um Rat zu fragen, war er sich dessen nicht mehr so sicher. Einmal mehr drängte sich ihm der Verdacht auf, dass der alte Bastard genau damit gerechnet hatte. Aber er würde sich noch wundern. So leicht ließ Haron sich nicht unterkriegen.
Nachdenklich rieb er sich das unrasierte und von frischen Narben überzogene Kinn. Schließlich nickte er. „Du hast Recht, mein Freund. Ich habe euch mein Wort gegeben, dass wir in den Krieg ziehen, und bisher vergeuden wir unsere Energie mit harmlosem Geplänkel. Wir handeln wie Söldner, dabei sollten wir eine eigenständige Macht repräsentieren.
Mir schwebt da etwas vor, aber ich werde einige Zeit brauchen, um es vorzubereiten. Kannst du die anderen so lange vertrösten und bei Laune halten?“
Begeistert versicherte Tiriot, dass er es den anderen erklären würde. Die Vorfreude blitzte in seinen Augen. Obwohl er nur wenige Jahre jünger war als Haron, war er ihm seit
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