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Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure)

Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure)

Titel: Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine Puljic
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der Tag doch recht informativ gewesen. Wie hieß es nicht umsonst: Ein Schweigen sagt manchmal mehr als tausend Worte.
     
    Atlan versuchte, nicht über den kleinen Sack nachzudenken, den er hinter der Tür verborgen hatte. Er wollte sich nicht fragen, ob die Entscheidung, die er in seiner Bedrängnis getroffen hatte, die richtige gewesen war. Vor allem, da ein Teil von ihm sie ohnehin bereits bitter bereute. Er hatte sein Kloster verraten, und jetzt brach er auch noch die Abmachungen, die er selbst mit seinen Brüdern getroffen hatte.
    Aber was hätte er machen sollen? Seine eigene Mutter abweisen? Sie brauchte ihn. Er hatte gesehen, wie schwer es ihr gefallen war, um seine Hilfe zu bitten. Sie musste einmal eine stolze Frau gewesen sein. Was hatte sie verändert? War es selbstsüchtig zu hoffen, dass es die Trennung von ihrem Sohn gewesen war?
    So lange hatte er sich nach einem Hinweis auf seine Familie, seine Herkunft gesehnt. Sollte er sie jetzt verleugnen? In den alten Glaubensschriften war oft von der Ehrfurcht den Eltern gegenüber die Rede. Wieso musste er sich so schlecht fühlen, weil er jetzt für sie da sein wollte?
    Wer sein Vater war, hatte sie ihm nicht verraten. Ein Name hätte ihm ohnehin nicht viel geholfen, aber er hätte ihm gerne einmal ins Angesicht gesehen. Hätte gerne erkannt, was für ein Mensch er war, wie viel er von sich selbst in diesem ihm unbekannten Mann finden konnte. Aber er wollte nicht zu viel verlangen. Er hatte eine Mutter, das war mehr als er je zu erträumen gewagt hatte.
    Und er würde sie heute wiedersehen.
    Sie hatten vereinbart, dass er eine wöchentliche Ration für sie abzweigte von den Spenden, die er mittlerweile in weit größeren Mengen als früher verteilen konnte. Sie sollte alleine in den frühen Morgenstunden kommen, wenn keine Gefahr bestand, dass weitere Bittsteller oder Priester anwesend waren, und niemandem von ihrer Abmachung erzählen. Auch nicht den wenigen ausgewählten Personen, an die sie die Vorräte schließlich weitergeben wollte, um ihnen so vielleicht eine Möglichkeit zu geben, sich von den Radikalen zu lösen.
    Sie hatte ihm versichert, dass es ausschließlich Gegner der neuen Bewegung waren, die sie um sich scharte. Und wem sollte er glauben, wenn nicht seiner eigenen Mutter?
    Trotzdem bereiteten der Sack und die damit verbundene Heimlichtuerei ihm Unbehagen. Atlan war Geheimnisse gewohnt – sein Unterricht bei Ramin war zwar das größte, aber nicht das einzige gewesen, das er im Kloster gehütet hatte. Doch dabei war er niemals der einzige Beteiligte gewesen, hatte sich immer mit anderen verschworen, die ihm versichern konnten, dass sie das Richtige taten.
    Es wäre leichter, wenn er auch jetzt jemanden hätte, dem er sich anvertrauen könnte.
    Doch da waren nur die Priester, die er selbst gegen die Reinen aufgehetzt hatte, die Gläubigen, die seine Hilfe und seinen Rat suchten, weil sie nicht länger nur die Klone, sondern auch die Puristen fürchten mussten – und seine Mutter, die sich ausgerechnet jetzt an ihn wandte.
    Er vermisste Niove. Ihr Lachen und ihr Verständnis, ihre Art, die Dinge so klar und anders zu betrachten als er. Die Gedanken an Niove bewirkten allerdings auch, dass er sich noch mehr als Verräter fühlte, obwohl er wusste, dass seine Mutter zumindest in diesem Punkt Recht hatte: Sie konnte nichts für dieses Verbrechen, ebenso wenig wie er selbst Serus Ausschreitungen hätte verhindern können. Nach allem, was er mittlerweile erfahren hatte, war er sogar ziemlich sicher, dass mehr als einer von den Jungen, die der Abt zum Krüppel geschlagen hatte, bei den Puristen ein neues Zuhause gefunden hatte.
    Das Klingeln des Telefons riss ihn aus seinen Gedanken. Dankbar über die willkommene Ablenkung, suchte er den mit Arbeitsmaterial und Krimskrams überladenen Schreibtisch nach dem richtigen Knopf ab, um das Gespräch annehmen zu können. Er wusste nicht einmal, wann er das letzte Mal von jemandem auf diese Art kontaktiert worden war. In den Arbeiterschichten hielt sich eisern das Gerücht, dass die Elite sämtliche Gespräche abhörte, also erledigten sie alles Wichtige persönlich. Atlan glaubte nicht daran, dass Klone ein Interesse an den Belangen der Arbeiter hatten. Die Gefahr lag hier vielmehr in den eigenen Reihen.
    Das Telefon war älter als er selbst und ein Überbleibsel von Meister Ektors Vorliebe für altmodische Gerätschaften, doch es funktionierte noch einwandfrei. Kaum hatte er die entsprechende Taste

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