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Das unheimliche Haus

Das unheimliche Haus

Titel: Das unheimliche Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Weidenmann
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Daraufhin schlenderte er das Stück zur Eingangstreppe hinüber und war plötzlich wie vom Erdboden verschluckt. Dicht neben Emil Langhans tauchte er wieder auf. Gemeinsam spähten sie aus ihrem Versteck zum Ende des Korridors.
    »Hoffentlich bleibt er lange genug«, flüsterte Emil. Auch wenn er nur ganz leise sprach, hörte es sich so an, als befände er sich mitten im Stimmbruch.
    »Hier Dr. Purzer«, meldete sich inzwischen der Studienrat am Telefon im Direktionsbüro. »Hallo!« Erwartete eine Weile, dann legte er seine flache Hand über die Sprechmuschel. »Es meldet sich niemand...«
    »Vielleicht hat es dem Herrn zu lange gedauert«, vermutete Fräulein Kowalski. »Oder wir sind unterbrochen worden. So was passiert bei Amtsgesprächen gelegentlich, und das war vermutlich die interne Schulamtsleitung. Ich würde auflegen und einen Augenblick warten. Bestimmt versucht man noch einmal, Sie zu erreichen. Es soll ja wichtig sein, wie gesagt.«
    »Na schön...« sagte Dr. Purzer. Er legte den Hörer auf, trat ans Fenster und blickte in den Schulhof. Jetzt konnte er den Kastanienbaum, der sich so schön entwickelt hatte, von der anderen Seite betrachten. Das Klassenzimmer der 9 b lag genau gegenüber.

    Die Situation beim zypressengrünen VW-Golf hatte sich unterdessen stillschweigend und blitzartig verändert. Schon während Karlchens Telefonat mit dem Zeitungshändler Wildenbusch hatte der Boß der Glorreichen Sieben die braune Ledermappe des Studienrats vom Beifahrersitz gerissen, geöffnet und die Klassenarbeitshefte abgefingert, bis er das von Manuel Kohl gefunden hatte. Aber dieses Heft, in das der stupsnasige Schüler heute so eifrig seine sicherlich höchst unbefriedigende Arbeit geschrieben hatte, war in Wirklichkeit nur eine Dublette, sozusagen ein Zwilling des eigentlichen Heftes, das Manuel Kohl in diesem Augenblick unter seiner Jacke hervorholte und auf die schräge Oberfläche der städtischen Sandkiste legte. Sie ließ sich ganz ausgezeichnet als Stehpult verwenden, und in dem Heft, das der Junge jetzt vor sich aufschlug, befanden sich seine gesamten bisherigen Glanzleistungen, die Dr. Purzer abwechselnd mit einer Vier oder einer Fünf benotet hatte. Häufiger mit einer Fünf. Manuel blätterte ein wenig aufgeregt bis zur nächsten leeren Seite. Sein Rückenmark schien zu Eis gefroren, aber er machte sich zum Schreiben bereit.
    Karlchen Kubatz hatte sich inzwischen vom Boß das Zwillingsheft geben lassen, in dem ja die Aufgaben der heutigen Arbeit standen, und fing an zu diktieren.
    »Aber mach nicht plötzlich einen Einstein aus ihm«, mahnte Paul Nachtigall. Er hatte sich von neuem über den Kühler des Purzerschen Autos gebeugt und brachte Zündkerzen und Kabel wieder in Ordnung. »Den einen oder anderen Fehler mußt du schon einbauen, und gelegentlich sollte man auch mal was durchstreichen und korrigieren.«
    »Du denkst wohl, ich bin von gestern«, seufzte Karlchen, ließ sich aber bei seinem Diktat nicht unterbrechen.
    Zwischendurch luchsten Karlchen und der Boß abwechselnd zu dem Seitenportal hinüber.
    Plötzlich hörten sie hinter sich ein Geräusch, das näher kam. Sie drehten sich um und entdeckten einen sommersprossigen Knaben auf Rollschuhen. Er hatte einen Walkman vor der Brust baumeln und Kopfhörer über seinem roten Haar. Der Rücken seines T-Shirts zeigte die Golden-Gate-Brücke, und darüber und darunter stand san Francisco in blauen Buchstaben.
    »Zieh Leine«, zischte der Boß der Glorreichen Sieben, als der Bursche immer näher kam. Er breitete beide Arme aus und bewegte sie, als ob er einen Schwarm lästiger Fliegen verscheuchen wollte. »Hier ist die Cholera ausgebrochen, hau ab.«

    Im Vorzimmer des Schuldirektors blickte Dr. Purzer gerade auf seine Armbanduhr. »Das wird wohl nichts mehr«, meinte er.
    »So sieht es leider aus«, sagte Fräulein Kowalski.
    »Was im Augenblick ungeheuer wichtig sein soll«, erwiderte der Studienrat, »ist am nächsten Tag schon wieder Schnee von gestern. Noch einen schönen Tag, Fräulein Kowalski.«
    »Gleichfalls«, sagte die Sekretärin.
    Als Dr. Purzer bereits eine ganze Weile verschwunden war, klingelte das Telefon.
    »Wir sind leider unterbrochen worden«, sagte die Stimme des Zeitungshändlers Wildenbusch im Hörer. »Haben Sie Dr. Purzer noch erreichen können?«
    »Er war hier und hat gewartet«, antwortete Fräulein Kowalski. »Aber jetzt ist er endgültig auf dem Weg nach Hause. Kann ich etwas ausrichten?« Sie hatte keine Lust

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