Das unheimliche Haus
Paul Nachtigall.
An der Landstraße wartete der große Bruder des Babygesichts. Franz hatte sich mit seinem breiten Rücken gegen die Tür seines klapprigen Dreirades gelehnt und die Arme verschränkt. Hinter ihm blickte Manuel Kohl durch das verschlossene Fenster. Der Riese hatte den Jungen in seiner engen Fahrerkabine wie in einen Käfig eingesperrt.
»Laß den Gefangenen frei und segle mit deinem Rolls-Royce wieder in die Werkstatt«, rief ihm Ulli Buchholz zu. »Besten Dank, das Fest ist gelaufen.«
»Verdammter Mist«, schimpfte Franz und strich sich mit seinen großen Händen über den verdreckten Overall. »Da freut man sich auf eine nette Keilerei, und diese Blödmänner vertragen sich auf einmal wieder.« Er rümpfte die Nase.
»So ähnlich ist es«, bestätigte der Anführer der Maxen.
»Ich hab’ meine Zeit schließlich nicht gestohlen«, schimpfte der Riese weiter.
»Ja, Sachen gibt’s, die gibt’s gar nicht«, sagte der Boß der Glorreichen Sieben mitfühlend.
So einfach war das.
Nichts explodierte, der Mond fiel nicht vom Himmel, und zurück nach Bad Rittershude waren es nach wie vor noch zwölf Kilometer.
Alles blieb unverändert, es war nicht zu fassen.
Dabei war in der letzten halben Stunde ein historisches Ereignis geschehen, das bestimmt nicht weniger bedeutend war als etwa die Entdeckung Amerikas oder der Westfälische Friede.
Der Bürstenhaarschnitt stolpert und plumpst auf eine Goldader
Tags darauf war der Gipfel des Zobelbergs in grauen Wolken verschwunden, es regnete Strippen, und das Kubatzsche Frühstück fand wieder einmal hauptsächlich im Stehen statt.
Der Chefredakteur hatte schon zweimal aufspringen müssen, weil das Telefon geklingelt hatte. Beim drittenmal nahm er seine Kaffeetasse mit zum Schreibtisch hinüber.
Karlchen hatte nach den gestrigen Erlebnissen noch üppiger geträumt als sonst und den Wecker nicht gehört. Er kam jetzt angezogen, aber in Socken die Treppe heruntergefegt. »Guten Morgen allerseits.«
Im selben Augenblick kam die weißhaarige Haushälterin, die ihn gerade noch rechtzeitig wachgerüttelt hatte, mit seinen Schuhen. Karlchen setzte sich auf die Treppe und zog sie an. »Du bist ein Engel, Maria, aber das wissen wir ja.«
»Ich hab’ sie unterm Wasser abbürsten müssen«, bemerkte die Frau und guckte ein wenig vorwurfsvoll auf den Bürstenhaarschnitt hinunter. »Wo hast du dich nur rumgetrieben? Sie waren so dreckig, daß man...« Es hatte geklingelt, und Maria eilte zur Tür. Gleich darauf kam sie mit der neuesten Ausgabe der Bad Rittershuder Nachrichten zurück.
Karlchen hatte inzwischen bereits ein Glas Orangensaft in sich hineingeschüttet. »Wetten, daß ich weiß, wie heute die Schlagzeile lautet?« fragte er, während er ein Brötchen aufschnitt. »Ich bin im Augenblick dabei, hellseherische Fähigkeiten zu entwickeln, falls ihr das noch nicht wissen solltet.«
»Da bin ich aber gespannt«, sagte Frau Kubatz, und ihr Mann, der gerade mit seiner Kaffeetasse vom Schreibtisch zurückkam, ergänzte: »Wetten wir wirklich?«
»Lassen wir’s bei einer Mark«, meinte Karlchen. »Ich bin so sicher, daß es unfair wäre, dir mehr abzuknöpfen.«
Der Chefredakteur ließ sich die zusammengefaltete Zeitung von Maria aushändigen und legte sie auf den Tisch. »Die Wette gilt«, bemerkte er. »Laß hören.«
»Falschgeld in Bad Rittershude«, sagte Karlchen Kubatz und grinste über das ganze Gesicht. »Du kannst die Mark schon lockermachen.«
Der Chefredakteur zog die Augenbrauen hoch. »Und woher weißt du das?«
»Von Fritz Treutlein«, gab Karlchen bereitwillig Auskunft. »Der ganze Salon hat es mitangehört.«
»Trotzdem hätte Fritz darüber eigentlich nicht sprechen dürfen«, bemerkte der Chefredakteur. Dabei klappte er jetzt die Zeitung auseinander und drehte sie so, daß seine Frau und Karlchen die Aufmachung der Titelseite lesen konnten. »Das Wetter spielt verrückt«, stand da in einer kleineren Schrift und darunter groß als Schlagzeile: »Mitten im Sommer auf der Zugspitze Schnee.«
»Aber wieso?« fragte Karlchen und guckte wie ein kleiner Junge, dem seine Eistüte in den Sandkasten gefallen ist. »Das mit dem falschen Hundertmarkschein stimmt doch, und vermutlich sind es sogar zwei. Ich begreife die Welt nicht mehr.«
»Und weshalb begreifst du die Welt nicht mehr?« fragte sein Vater. Er betrachtete seinen Sohnemann und mußte schmunzeln.
»Weil du doch sonst immer mit deiner Zeitung...« Karlchen stockte und nahm
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