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Das unheimliche Haus

Das unheimliche Haus

Titel: Das unheimliche Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Weidenmann
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stellte Paul Nachtigall fest. Er stocherte mit einem Plastikstrohhalm in dem allmählich schmelzenden Eis am Grund seines Glases herum und sog dann geräuschvoll die letzten Tropfen heraus. Er hielt kurz inne, um noch hinzuzufügen: »Nein, je mehr ich darüber nachdenke, wir dürfen keine Zeit verlieren...«
    »Herrschaften«, unterbrach ihn Fritz Treutlein, »ich muß mich wieder verziehen.« Er schob sein geleertes Glas zur Seite und wischte sich den Mund ab. »In einer Viertelstunde muß ich im Hotel zum Kurfürsten einen waschechten saudiarabischen Prinzen rasieren, und hinterher bringt Theaterdirektor Friedebold in unserem Salon seinen Kopf zum Haareschneiden vorbei. Er besteht darauf, daß ich ihn bediene — « Fritz Treutlein stand als einziger der Glorreichen schon im Berufsleben.
    Als er bereits auf dem Weg zu seinem exotischen Prinzen war, kam plötzlich ein ganzes Rudel von Maximilianschülern angeradelt. An der Spitze natürlich ihr Anführer Ulli Buchholz, wie üblich in verwaschenen Blue Jeans und mit einer dunkelbraunen Lederjacke, die ihm nur knapp bis zur Hüfte ging. Die Maxen fuhren im Windschutz eines Lastwagens mit einer Zementmischmaschine, die sich gemütlich drehte und dabei ratterte. Zuerst kümmerten sie sich nicht um die Glorreichen Sieben und taten so, als hätten sie die anderen gar nicht entdeckt. Aber kurz bevor sie die Höhe der zwei zusammengeschobenen Tische erreicht hatten, schlugen sie einen Haken, wechselten überraschend von der Straße auf den Gehsteig und deckten Paul Nachtigall samt seinen Glorreichen mit ein paar Wolken Konfetti ein. Sie grinsten hundsgemein, ein paar pfiffen durch die Finger, und Ulli Buchholz rief im Davonfahren über seine rechte Schulter zurück: »Mahlzeit und weiterhin guten Appetit, ihr Lackaffen!«
    »Da reagier’ ich aber ganz allergisch«, schimpfte Karlchen Kubatz. Er hätte sich fast an seinem Eis verschluckt. »Das ist die Höhe!«
    »Ihr wollt uns wohl verhohnepipeln«, schrie Emil Langhans noch lauter. »Wir machen euch zur Minna, das walte Hugo!«
    Die Maximilianschule und das Prinz-Ludwig-Gymnasium waren sich nur zeitweise grün. Nur sehr zeitweise. Genau gesagt immer nur dann, wenn sie ausreichend mit sich selbst beschäftigt und dadurch abgelenkt waren. In Wirklichkeit brodelte zwischen den beiden Bad Rittershuder Schulen ein permanenter Kriegszustand. Generationen von Schülern hatten ihn am Kochen gehalten, und inzwischen war er schon eine historische Gegebenheit. Zur Zeit schlummerte er vor sich hin. So hatte es zumindest bis zu diesem Augenblick den Anschein gehabt.
    »Die spinnen wieder mal«, nörgelte Hans Pigge. Er war aufgesprungen und ließ sich jetzt wieder in seinen Stuhl fallen. Über den orangefarbenen Tischtüchern und den Eisbechern lag das Konfetti wie bunter Schnee.
    »Ich denke, wir haben bis nach den Sommerferien einen Burgfrieden ausgehandelt«, sagte Emil Langhans, der sich noch nicht wieder beruhigt hatte.
    »Sieht so aus, als pfeifen sie drauf«, stellte Paul Nachtigall fest. Er kämmte sich mit den Fingern das bunte Papierzeug aus den Haaren. »Na gut, wenn den Esel das Fell juckt, wagt er sich aufs Eis. Wir werden unsere Lauscher aufstellen und sie beobachten. Aber eigentlich haben wir im Moment andere Sorgen.«
    Die Versammlung murmelte Zustimmung, und dann löste sie sich auf.
    Um diese Zeit waren die Straßen fast leer. Einerseits wegen der schwülen Hitze, die nun schon seit Tagen über der Stadt lag, und dann saß man in Bad Rittershude zur Stunde beim Mittagessen. Herr Bemmelmann hatte in seinem Tabakladen in der Rabenstraße die teuren Zigarren aus dem Schaufenster genommen und einen Sonnenschutz aus Kunststofflamellen heruntergelassen. Und auch Herr Wildenbusch mußte in seinem Kiosk am Richard-Wagner-Platz die Ware schützen. Kein Kunde kauft eine Zeitung, die den Sonnenbrand hat. Das wäre ja so, als ließe man sich verwelkte Blumen andrehen. Vater Treutlein kehrte in seinem Salon die Haare von Polizeimeister Kalender zusammen, der kurz zuvor in seinem Streifenwagen wieder losgebraust war. »Das ist kein Mißbrauch eines Dienstfahrzeugs«, hatte er vorsichtshalber erklärt, »ich mußte wegen eines Diebstahls eine Vernehmung durchführen,, und zurück zum Revier war das kein Umweg.«
    Bei den Bad Rittershuder Nachrichten kaute man mehr oder weniger an Bleistiften oder auch an Kugelschreibern herum. Zwischendurch luchste man zum Fernschreiber hinüber. Aber das Ding rührte sich nicht. Die Agenturen

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