Das unheimliche Medium
Schatten der Dämmerung, die eine sonst so normale Gegend so fremd erscheinen ließen. Es wehte kein Wind. Dennoch kam es den beiden vor, als würden sich fremde Gestalten bewegen und durch die Büsche der Vorgärten huschen.
Und dann der Himmel.
Ungewöhnlich sah er aus in der Dämmerung, wie ein unendlich erscheinender Flickenteppich.
Chrissy Norman stellte eine Frage. »Na, was sagst du?«
»Nichts.«
Das verstand die Frau nicht. »Das ist nicht unsere normale Luft, Vince. Nein, das ist sie nicht. Du mußt mal tief durchatmen, dann wirst du es merken. Außerdem ist das Licht so seltsam.«
Miller hob die Augenbrauen. Er wußte nicht, was er zu Chrissys Ausführungen sagen sollte. Er empfand nicht so. Auch weil er zu stark auf sich selbst konzentriert war. Es ging ihm auf keinen Fall besser. Der Kreislauf war äußerst schwach, und in seinem Kopf spürte Miller das Brummen. Immer wieder hatte er das Gefühl, der Kopf würde anschwellen. Stiche durchtosten ihn, und hinter den Augen lag ein harter Druck. Er war blaß geworden. Wäre Chrissy Norman nicht bei ihm gewesen, hätte er schon längst den Rückzug angetreten, so aber blieb er stehen, tat wie ihm geheißen und öffnete den Mund weit.
Er atmete ein dann aus – und stöhnte!
Das alarmierte die Frau. »Was hast du?«
Miller senkte den Kopf. Er keuchte. Er spie aus. Chrissy trat zurück. »Ich habe geatmet«, flüsterte er. »Ja, verdammt, ich habe geatmet, und dann spürte ich das Brennen im Hals. Verstehst du? Ich habe ein Brennen gespürt. Es ist wie Säure gewesen, es glühte in der Kehle, als wäre meine Haut verätzt.«
Die Frau sagte zunächst nichts. Schließlich hob sie die Schultern. »Das muß eben an diesem Wetterliegen. Die haben ja schon eine Änderung vorausgesagt.«
»Aber nicht so eine.«
»Was meinst du damit?«
»Das ist keine Luft mehr, keine normale.« Miller strengte sich an, um zu sprechen. »Das ist einfach furchtbar. Ich komme da nicht mit. Ich kann es nicht fassen.«
Chrissy schlug ein Kreuzzeichen. Normalerweise hätte der Kaufmann darüber gelacht, in diesem Fall ließ er es bleiben. Er sah ihr Profil wie eine scharfe Zeichnung. »Da kommt etwas auf uns zu, was grauenhaft ist. Ich spüre es, Vince, ich spüre es bis in die Tiefen meiner Knochen hinein. Das ist grauenhaft. So etwas hat unser Ort noch nicht erlebt. Das ist das Unheil!« Sie deutete gegen den Himmel. »Und er gibt uns eine Warnung. Schau dir nur die Wolken an, wie sie dahintreiben und sich ständig verändern. Sie werden an einigen Stellen von Licht durchflutet. Da schiebt sich die Helligkeit in das Dunkle hinein. Es ist wie ein Gleichnis. Das Gute gegen das Böse, Vince, aber das Böse wird verlieren.«
Miller gab keine Antwort. So apokalyptisch sich diese Voraussagen auch angehört hatten, er widersprach nicht. Er wußte auch nicht, was er hätte sagen sollen.
Noch immer war die Luft klar. Klar und irgendwie scharf. Sie biß in die Kehlen und Schleimhäute hinein, sie war so unnormal, sie schien auch aufgeladen zu sein.
In Weldon war es still.
Die beiden Menschen hörten keine Stimmen. Alle Einwohner schienen zu wissen, daß sich etwas anbahnte, nur traute sich keiner nachzuforschen oder etwas zu unternehmen. Man blieb still, man verhielt sich abwartend, die Angst drückte.
»Geht es dir wieder besser?«
»Kaum«, flüsterte Miller. »Ich will auch nicht mehr länger hier herumstehen, sondern ins Bett, aber ich muß noch die verfluchte Treppe hoch. Wird nicht einfach sein.«
»Soll ich dir helfen?«
»Nein, laß das mal. Du bist auch nicht gut dran. Ich an deiner Stelle würde wieder nach Hause gehen. Wir schließen uns in den Häusern ein. Vielleicht können wir uns vor der anderen Luft abschirmen.«
Chrissy Norman sagte nichts. Sie hatte den Kopf leicht zurückgelegt, um gegen den Himmel schauen zu können. Genau dort spielte sich das schon unheimliche Geschehen ab.
Die langen Schatten der Wolken waren in Bewegung geraten. Der Wind blies in sie hinein, er türmte sie hoch, zerrte sie auseinander, er brachte sie wieder zusammen. Unsichtbare Arme rissen an allen Ecken und Enden, doch es waren nur die Vorboten des Kommenden.
Denn urplötzlich stand der Himmel in Flammen!
***
Chrissy Norman schrie auf. Sie hatte den Schrecken gesehen. Sie wollte ihn nicht mehr allein erleben, ging zwei Schritte zur Seite und umklammerte Millers Handgelenk. Für diese Frau war es der Schrecken gewesen, denn der Himmel hatte sich innerhalb kurzer Zeit völlig
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