Das Unkrautland | Auf den Spuren der Nebelfee
einmal etwas Ähnliches an. Ich dachte mir damals – gütiger Himmel, wo hat er den bloß her? Aber Ihr wisst ja, wie die Leute sind, sie sprechen nicht gerne über ihre guten Quellen. Besonders schön finde ich Eure Knöpfe. Habt Ihr gewusst, dass ich Knöpfe sammle?«
Mit diesem Satz schnappte die Vogelscheuche nach Primus’ Frack und riss ihm den oberen Knopf ab. Fassungslos blickte Primus die Vogelscheuche an. Er wollte gerade zu einer gehörigen Standpauke ansetzen, als Chuck eine kleine alte Blechdose aus der Tasche zog und sie ihm unter die Nase hielt.
»So, Ihr dürft Euch jetzt einen aussuchen«, sagte er. »Ich tausche nämlich für mein Leben gerne.«
Primus hatte überhaupt keine Lust darauf. Aber weil Chuck so nett war und sich um Snigg kümmern wollte, spielte er das Spielchen anstandshalber mit. Er schaute in die Dose, wo er zwischen vielen kleinen Knöpfen aus Holz oder Horn einen blitzenden Messingknopf entdeckte. Er nahm ihn heraus und betrachtete ihn im Sonnenlicht. Auf der Vorderseite war eine Prägung zu erkennen. Sie zeigte eine Hacke und eine Schaufel, die sich in der Mitte kreuzten. Höchstwahrscheinlich das Wappen einer Bergwerksgilde, wie Primus vermutete.
»Ich nehme diesen hier«, sagte er.
»Fein«, entgegnete Chuck, »der wird Euch bestimmt gut stehen.«
Primus steckte den Knopf in seine Jackentasche und schaute Chuck hinterher, wie dieser mit Snigg zum Salatbeet hüpfte.
Plim war ins Haus gegangen, um ihre Sachen zu packen. Als Primus die Hexenküche betrat, musste er zuerst auf das Regal sehen, wo gestern noch sein Einmachglas gestanden hatte. Er wollte gar nicht daran denken, wie unbequem es darin gewesen war, und blickte nach oben zum Dachboden. Plim stand vorne am Geländer und holte ein Paar lange Strümpfe von der Wäscheleine.
»Ich bin gleich so weit«, sagte sie. »Könntest du bitte in der Zwischenzeit woanders hinsehen?«
Schnell drehte er sich um. Dann schritt er zur Wand, an welcher der Plan mit der Mondsichel hing. Endlich konnte er das Pergament einmal genauer betrachten, nachdem er es bisher nur durch das verzerrende Glas gesehen hatte. Die schnörkelige Handschrift stellte für Primus kein Problem dar. Durch seine allabendliche Bettlektüre hatte er mittlerweile reichlich Übung in der Entschlüsselung von alten Schriften. Dort, wo der Text nicht vom Wasser zerstört war, standen genau die Angaben, die Plim ihm letzte Nacht geschildert hatte:
Einstiger Standort: vermutlich über dem heutigen Finsterwald
Zeitpunkt der Anfertigung: vor etwa 12000 Jahren
Von Sternenlicht getragen
Von Dunkelheit zusammengehalten
Bestandteile: Macht, Glück, Reichtum, Schönheit, Unsterblichkeit
»Dieses Ding ist anscheinend uralt«, stellte er fest. »Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wer das gebaut haben könnte.«
Fasziniert trat er näher an den Plan heran. Sollten diese Ziffern etwa Maßangaben sein? Unfassbar! Wenn diese Werte stimmten, dann musste die Sichel einen Durchmesser von mehr als zwanzig Schrittlängen gehabt haben. Primus pfiff durch die Zähne. Mit so einem gigantischen Objekt hatte er nicht gerechnet. Plim hatte also nicht übertrieben – sein Stein war demnach wirklich nicht mehr als nur ein winziger Bruchteil.
Aber auf dem Plan gab es noch mehr zu sehen:
Feine Linien unterteilten die Sichel in fünf Segmente, die jeweils mit den dazugehörigen Elementen beschriftet waren. Das Stück in der Mitte besaß das Element der Macht. Hier war auch die Schrift noch klar zu lesen. Doch bei den unteren zwei Segmenten konnte man nicht mehr das Geringste der Beschriftung erkennen. Die Tinte war vollkommen zerlaufen und verblichen. Klar und leserlich war hingegen auch der Teil zu entschlüsseln, der über dem Segment der Macht folgte: Reichtum. In der oberen Spitze steckte schließlich die Schönheit. Primus stutzte. Wofür brauchte Plim denn ausgerechnet dieses Element? Sie war vielleicht aufbrausend und zickig, sie klaute und fluchte, aber hässlich war sie nicht gerade. Ganz im Gegenteil.
»Du kannst dich jetzt wieder umdrehen«, kam es von hinten, als Plim die Stufen heruntergetrippelt kam.
Sie trug ein rabenschwarzes Kleid und ein kurzes Jäckchen mit einem buschigen Pelzkragen. Ihre silbrigen Haare hatte sie zu zwei langen Zöpfen zusammengebunden, die ihr vorne über die Schultern fielen. In der Hand hielt sie ein altes Arztköfferchen.
»Meine Handtasche – für die Einkäufe«, sagte sie und hielt das Köfferchen in die Höhe.
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