Das Unkrautland, Band 2: Das Geheimnis der Schwarzen Hütte (German Edition)
lassen.
Als er schließlich ganz dicht vor dem Spiegel stand, blickte er respektvoll zu diesem empor. Das gleißende Licht der Zaubernuss reichte nur knapp bis unter die Schultern des Rahmens. Der gehörnte Kopf darüber befand sich noch immer im Dunkeln.
Ein Schauder lief Primus über den Rücken. So nah war er dem alten Spiegel noch nie gekommen. Nur als Umriss konnte er dessen Bart und seine spitzen Hörner erkennen. Jetzt beugte er sich langsam zu Boden, um nach der Kugel zu greifen. Alles im Umkreis von zwei Schrittlängen war hellauf erleuchtet. Doch noch bevor Primus die Zaubernuss mit seinen Fingern berührte, wanderte sein Blick beiläufig in den Spiegel hinein.
Schlagartig hielt er inne.
Er zog die Hand zurück und rückte dicht vor die Scheibe. Sein Atem beschlug das geschliffene Glas. Was hatte denn das zu bedeuten? Träumte er gerade oder lag im Inneren des Spiegels ein Zimmer verborgen?
Langsam hob er die Zaubernuss vom Boden auf und rutschte ein klein wenig zurück. Dann schaute er erneut in den Spiegel. Primus konnte sich selbst darin sehen, klar und deutlich, wie er gerade mit der Zaubernuss in der Hand auf dem Holzboden hockte. Er sah seinen Frack, die Gamaschen und natürlich auch den schwarzen Zylinder. Daran gab es nichts Ungewöhnliches. Doch wenn er die Kugel ganz nahe an die Glasscheibe hielt, dann schien es ihm, als würde ihr Licht durch den Spiegel hindurchstrahlen.
Er wich mit der Zaubernuss an die äußerste Kante der Scheibe und stierte hinein. Da war eine Mauer, stellte er fest, genau wie bei einem Gewölbe. Etwas weiter hinten konnte er sogar die Basis einer Säule erkennen. Primus lehnte sich zur Seite. Er betrachtete die Wand, vor welcher der zentnerschwere Spiegel hing, und fasste dagegen. Das konnte doch nicht mit rechten Dingen zugehen, dachte er. Auf der Rückseite dieser Wand gab es kein Zimmer, das wusste er genau. Schließlich war das die Außenmauer des Turms. Dahinter ging es mehr als zehn Klafter tief in den Garten hinunter – und zwar nicht in ein Gewölbe, sondern direkt zu Sniggs Komposthaufen!
Doch seine Augen trogen ihn nicht. Auch beim erneuten Blick in den Spiegel konnte er das seltsame Gewölbe ausmachen. Leider aber reichte das Licht der Zaubernuss nicht weit genug, als dass Primus den ganzen Raum hätte einsehen können. Dennoch konnte er sich zumindest einen groben Eindruck verschaffen.
Der Boden hinter dem Spiegel war steinern – ganz im Gegensatz zum Turmzimmer, das mit Holzdielen versehen war. Er schaute sich die Wände an. An diesen gab es weder Fenster noch Türen. Der Raum schien vollkommen leer zu sein … oder etwa nicht? Primus rutschte zur Mitte des Spiegels. Nein, fiel es ihm auf, dahinten ist sehr wohl etwas. Angestrengt blickte er durch das Glas und zog verkniffen die Nase hoch. Im Licht der Zaubernuss wurde ein Umriss sichtbar. Schwach und undeutlich nahm Primus ihn wahr. Er hielt das Licht weiter nach oben.
In diesem Raum steht jemand, schoss es ihm durch den Kopf. Eine große, schlanke Gestalt, von weit über sechs Fuß. In einen Umhang gehüllt, der fast bis zum Boden reichte.
Primus war nun vollkommen überwältigt. Auf was für ein Geheimnis war er da nur gestoßen? Was verbarg der alte Spiegel in seinem Inneren?
Er schluckte. Dann hob er zaghaft seine Hand. Neugierig, wie Primus war, streckte er den Finger aus, um die Scheibe abzutasten. In der anderen Hand hielt er die Zaubernuss. Primus riss seine Augen auf. Nun war er wirklich sprachlos. Denn dort, wo das Licht durch die Glasscheibe trat, da glitt auch seine Hand ohne Widerstand ins Innere hinein. So als wäre die Scheibe aus Luft.
In diesem Moment hörte Primus hinter sich ein Geräusch. Erschrocken zuckte er zusammen. Er zog seine Hand aus dem Spiegel und blickte sich im Turmzimmer um. Dann schaute er rüber zur Treppe. Nichts zu sehen. Offenbar hatte er sich getäuscht.
Sofort blickte er wieder in den Spiegel. Er hielt gebannt die Kugel vors Glas und versuchte, die seltsame Person ausfindig zu machen, die er gerade noch dahinter gesehen hatte. Doch zu seinem Erstaunen war diese plötzlich verschwunden. Das Gewölbe war leer.
Dann passierte es!
»Hallo, Primus«, sagte eine Stimme.
Diesem wäre fast das Herz stehen geblieben. Kreidebleich machte er einen Satz nach hinten und starrte zum Kopf des Spiegels hinauf. Mit feurigen Augen grinste dieser ihn von oben herab an.
»Was hast du denn gefunden?«, kam es zweideutig aus seinem hölzernen Mund.
»Oh«, schnaufte
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