Das Unsterblichkeitsprinzip
Er stand auf und sagte: »Bitte entschuldigen Sie, Doktor. Ich möchte Ihnen nicht länger zur Last fallen und gehe jetzt.«
Crusher bedeutete ihm mit einer Geste, wieder Platz zu nehmen.
»Nein, nein, Data, ich entschuldige mich. Ich bin derzeit nicht ganz auf der Höhe. Lassen Sie mich raten: Sie möchten wissen, was ich empfinde, wenn Patienten sterben.«
Der Androide nickte. »Ja«, bestätigte er. »Vor allem interessiert mich, was Sie fühlen, wenn die betreffenden Patienten Freunde von Ihnen sind. Wie werden Sie mit dem Wissen fertig, dass Sie vielleicht… allein zurückbleiben?«
Crusher konnte sich ein Lächeln fast nicht verkneifen, als sie ganz plötzlich den Grund für ihren Ärger begriff. Solche Gespräche hatte sie mit Wesley geführt, als er elf oder zwölf gewesen war, damals, als er kurz vor der Pubertät mit den großen moralischen und ethischen Sorgen eines Heranwachsenden rang, der seinen Platz im Universum zu entdecken begann. Data erinnerte sie an ihren Sohn und das passte ihr nicht.
Crusher und Troi hatten viele Abende damit verbracht, über Wesley zu sprechen, der den Reisenden auf einer intergalaktischen Mission der Selbstentdeckung begleitete.
Aber ganz gleich, in welch schöne Worte es Deanna kleidete: Derzeit war Wesley für Beverly verloren und sie vermisste ihn sehr. Sie wusste, dass er vielleicht eines Tages zurückkehrte, als erwachsener Mann, unverändert von den Jahren, die immer schwerer auf ihr lasteten. Aber die Ungewissheit belastete sie sehr und sie befürchtete, im Lauf der Zeit zu verbittern.
Und Data, der zu Wesleys besten Freunden gezählt hatte, erinnerte sie nun an jenen Verlust, der ihr solche Schmerzen bereitete. Kein Wunder, dass sie gereizt reagierte. Der Androide verstand nicht das emotionale Minenfeld, durch das er stolperte, und es wäre ungerecht gewesen, ihn dafür zu bestrafen. Er hatte eigene Probleme.
»Sie stellen da eine schwierige Frage, Data. Alle Personen in den medizinischen Berufen müssen sich immer wieder mit ihr auseinander setzen. Ich gebe Ihnen die gleiche Antwort wie Wes vor vielen Jahren: Das Schwierigste daran, Arzt zu sein, ist nicht etwa das Wissen, dass man eines Tages Patienten verlieren könnte, sondern die Möglichkeit, sich eines Tages daran zu gewöhnen.« Crusher zögerte kurz, um Data Gelegenheit zu geben, über diese Worte nachzudenken. »Ich habe mit Ärzten gesprochen, die an der Front tätig sind und Gruppen begleiten, die gegen das Dominion kämpfen, und deshalb kann ich Ihnen dies sagen: Das Schrecklichste, was sie sich vorstellen können, besteht darin, den Tod so oft zu sehen, dass sie sich an ihn gewöhnen und innerlich taub werden. Manche von ihnen verlieren die Fähigkeit zur Anteilnahme. Sie verschließen sich, weil sie nicht mit so viel Schmerz und Leid fertig werden können. Sie erledigen ihre Arbeit, aber ein Teil von ihnen stirbt.«
Data nickte. »Ich verstehe…«
»Ich bin noch nicht fertig, Data«, sagte Crusher. »Sie sollen noch etwas anderes erfahren. Ich habe mit jenen Ärzten gesprochen, weil ich der medizinischen Abteilung von Starfleet dabei half, Ärzte für den Fronteinsatz auszuwählen. Dabei ging es um psychologische Bewertungen, persönliche Profile und so weiter. Hier ist der schlimmste Teil, über den wir nicht gern sprechen: Wir können es nicht riskieren, Ärzte an die Front zu schicken, die zu sehr Anteil nehmen. Wir müssen jene auswählen, die imstande sind, einen Teil von sich zu bewahren und ihre Pflicht zu erfüllen. Immer wieder müssen wir uns diese Frage stellen: Wie viel Anteilnahme können wir uns erlauben? Welchen Belastungen dürfen wir uns aussetzen, bevor wir einen Punkt erreichen, an dem wir nicht mehr erkennen können, wann es Zeit wird aufzuhören?«
Verwirrung zeigte sich in Datas Gesicht, außerdem ein Schatten von Verzweiflung, und daraufhin unterbrach sich Crusher. Sie redete zu viel, stellte sie überrascht fest. Data hatte nach einer Art Rettungsring Ausschau gehalten, aber sie zerrte ihn aufs offene Meer hinaus.
»Das ist das Schlimmste«, sagte sie. »Das Beste aber ist: Wir alle, Ärzte und Krankenschwestern, genießen einen besonderen Segen… Gelegentlich erleben wir Wunder und sehen Dinge, die wir nicht erklären können, von denen wir aber wissen, dass sie real sind. Im Innern von Menschen – im Innern aller intelligenten Wesen, glaube ich – gibt es etwas, das selbst die Abgestumpftesten von uns überrascht…«
Sie
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