Das Unsterblichkeitsprogramm
drohen?«
Kadmin bleckte die Zähne zu einem blutigen Grinsen.
»Polizeiliche Brutalität…«
»Völlig richtig, Mistkerl.« Ortega zog ihm den Totschläger über die Wange. Die Haut platzte auf. »Polizeiliche Brutalität in einer überwachten VR-Simulation. Sandy Kim und World-Web One würden die Sache ganz groß rausbringen, nicht wahr? Aber wissen Sie was? Ich schätze, Ihre Anwälte werden gar nicht daran interessiert sein, diese Aufzeichnung vor Gericht auszuwerten.«
»Lassen Sie ihn in Ruhe, Ortega.«
Unvermittelt riss sie sich wieder zusammen und trat zurück. In ihrem Gesicht zuckte es, und sie holte tief Luft. Dann war der Tisch wieder da, an dem Kadmin aufrecht und mit unbeschädigtem Gesicht saß.
»Auch Sie«, sagte er leise.
»Ja, klar.« In Ortegas Stimme lag Verachtung, und ich vermutete, dass sich diese Empfindung zu einem großen Teil gegen sie selbst richtete. Sie unternahm einen zweiten Versuch, ihre Atmung wieder unter Kontrolle zu bekommen, und brachte unnötigerweise ihre Kleidung in Ordnung. »Wie ich schon sagte, eher wird die Hölle gefrieren, als dass Sie die Chance dazu erhalten. Vielleicht warte ich auf Sie, wenn Sie endlich freikommen.«
»Wer hat Ihnen so viel gezahlt, Kadmin?«, fragte ich erstaunt.
»Schweigen Sie aus reiner Vertragstreue, oder haben Sie so große Angst vor Repressalien?«
Anstelle einer Antwort verschränkte der zusammengesetzte Mann die Arme über der Brust und starrte durch mich hindurch.
»Sind Sie fertig, Kovacs?«, fragte Ortega.
Ich versuchte Kadmins Blick aufzufangen. »Kadmin, der Mann, für den ich arbeite, hat sehr viel Einfluss. Dies könnte Ihre letzte Chance zu einem lohnenden Geschäft sein.«
Nichts. Er blinzelte nicht einmal.
Ich zuckte die Achseln.
»Jetzt bin ich fertig.«
»Gut«, sagte Ortega missmutig. »Denn es überfordert mein normalerweise recht tolerantes Wesen, mich für längere Zeit in der Nähe dieses Haufens Scheiße aufhalten zu müssen.« Sie wedelte mit der Hand vor seinem Gesicht herum. »Wir sehen uns bald wieder, Arschloch.«
In diesem Moment blickte Kadmin zu ihr auf, und ein kleines, besonders unangenehmes Lächeln verzerrte seine Lippen.
Wir gingen.
Zurück im vierten Stock hatten sich die Wände von Ortegas Büro in einen strahlend hellen Mittag über Stränden aus weißem Sand verwandelt. Ich kniff die Augen im grellen Licht zusammen, während Ortega in einer Schublade ihres Schreibtisches kramte und zwei Sonnenbrillen hervorholte, von denen sie mir eine gab.
»Und was haben Sie durch diese Begegnung in Erfahrung gebracht?«
Ich rückte das unförmige Linsengestell auf meiner Nase zurecht. Das Ding war mir zu klein. »Nicht viel, außer der kleinen Perle, dass er nicht den Befehl hatte, mich auszulöschen. Offenbar wollte jemand mit mir reden. Das hatte ich mir sowieso gedacht, weil er mir in der Lobby des Hendrix problemlos den Stack hätte zerblastern können. Und das bedeutet, dass noch jemand anderes als Bancroft ein Interesse an dieser Sache hat.«
»Oder jemand war einfach nur an Ihnen interessiert und wollte Sie gründlich verhören.«
Ich schüttelte den Kopf. »Zu welchem Thema? Ich bin doch gerade erst angekommen. Das würde keinen Sinn ergeben.«
»Über das Corps? Ein unerledigtes Geschäft?« Ortega bewegte ihr Handgelenk, als wollte sie mir Karten austeilen. »Vielleicht hat jemand noch ein Hühnchen mit Ihnen zu rupfen.«
»Nein. Das sind wir bereits durchgegangen, als wir uns neulich angebrüllt haben. Es gibt Leute, die mich gerne auslöschen würden, klar, aber keine von diesen Personen lebt auf der Erde, und niemand hat genügend Einfluss, um mich über interstellare Distanzen zu verfolgen. Und ich weiß nichts über das Corps, was sich nicht irgendwo aus einem schlecht gesicherten Datenstack herausholen ließe. Außerdem wäre es ein viel zu merkwürdiger Zufall. Nein, hier geht es um Bancroft. Jemand wollte sich ins Programm einklinken.«
»Der Jemand, der für seinen Tod verantwortlich ist?«
Ich neigte den Kopf, um sie über den Rand der Sonnenbrille hinweg anzusehen. »Also glauben Sie mir jetzt?«
»Noch nicht uneingeschränkt.«
»Ach, hören Sie auf!«
Aber Ortega hörte gar nicht zu. »Mich würde eher interessieren«, grübelte sie, »warum er am Ende seine Codes umgeschrieben hat. Wir haben ihn ein Dutzend Mal in die Mangel genommen, seit wir ihn Sonntagabend runtergeladen haben. Dies war das erste Mal, dass er beinahe zugegeben hätte, tatsächlich der Täter
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